Seit der Attac-Entscheidung des BFH fragen sich viele NPOs, in welchem Umfang sie sich politisch betätigen dürfen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Dürfen sie beispielsweise die Montagsspaziergänge öffentlich kritisieren und zu Gegendemonstrationen aufrufen? Oder müssen sie sich zurückhalten und die Montagsspaziergänge stillschweigend dulden? Ein aktuelles Beispiel aus der Stadt Bad Nauheim verdeutlicht, was NPOs beachten müssen.
Verein kritisiert Corona-Spaziergänge
Seit Dezember veranstalten Corona-Leugner – wie im restlichen Land auch – in der hessischen Stadt Bad Nauheim sog. Montagsspaziergänge, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Ein gemeinnütziger Förderverein aus Bad Nauheim, der laut seiner Satzung die Jugendkultur und Jugendarbeit in der Region ideell und finanziell fördert, kritisierte die Montagsspaziergänge, da diese aus seiner Sicht von Rechtsextremisten als politische Plattform genutzt werden. Er veröffentlichte daher einen offenen Brief auf seiner Webseite, rief zu Gegendemonstrationen auf und führte eine Unterschriftenaktion durch.
Droht dem Verein die Aberkennung der Gemeinnützigkeit?
Es stellt sich die Frage, ob sich die Tätigkeiten des Vereins mit den Vorschriften des Gemeinnützigkeitsrechts vereinbaren lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) – insbesondere seinen Urteilen zu BUND (BFH v. 20.03.2017 – X R 13/15) und Attac (BFH v. 10.01.2019, V R 60/17) – stellt die kritische Befassung mit der Politik im Allgemeinen keinen gemeinnützigen Zweck i.S.d. § 52 der Abgabenordnung (AO) dar. Ein steuerbegünstigter Zweck kann jedoch durch politische Betätigung verwirklicht werden. Voraussetzung hierfür ist eine objektive und sachliche Darstellung der eigenen Meinung und eine im Vergleich zur sonstigen Tätigkeit untergeordnete Rolle. Mit anderen Worten: NPOs dürfen sich durchaus kritisch zu politischen Themen äußern. Allerdings müssen die Äußerungen im Zusammenhang mit ihrem steuerbegünstigten Zweck stehen und die Kritik auf sachlich fundierten und objektiven Argumenten beruhen.
Der Verein könnte diese Voraussetzung erfüllen: Denn Zweck des Vereins ist die ideelle und finanzielle Förderung der Jugendkultur und Jugendarbeit in der Region. Unter diesem Zweck könnte auch die politische Bildung von Jugendlichen im Sinne einer Förderung der Jugend- und Altenhilfe (§ 52 Abs. 2 Nr. 4 AO) oder einer Förderung der Volksbildung (§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO) fallen. Die politischen Aktionen des Vereins wären somit aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht unbedenklich, sofern bei ihnen die Vermittlung politischer Bildung an Jugendliche im Vordergrund stand, etwa indem der Verein Jugendliche über die Gefahren des Rechtsextremismus aufklärt.
Neuer Erlass der Finanzverwaltung
Doch selbst wenn die Aktionen des Vereins nicht unter seinen Satzungszweck fallen sollten, könnten diese gemäß des geänderten Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) unschädlich für den Gemeinnützigkeitsstatus des Vereins sein. Denn es sei rechtlich unbedenklich, wenn sich eine gemeinnützige Organisation außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen äußert. Als Beispiel nennt die Finanzverwaltung den Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus (AEAO zu § 52 Nr. 16 Abs. 4).
Wir sind der Auffassung, dass die Tätigkeit des Vereins unter diese Ausnahme fallen könnte, da der Aufruf gegen Rechtsextremismus mit dem Aufruf gegen Rassismus vergleichbar ist.
Enge Grenzen für Verfolgung politischer Zwecke
Für NPOs gilt weiterhin: Die Verfolgung politischer Zwecke ist für NPOs nur in äußerst engen Grenzen erlaubt und darf vor allem nicht zum Hauptzweck oder Selbstzweck werden. Sie müssen daher weiterhin die vom BFH aufgestellten Kriterien zum zulässigen Umfang politischer Betätigungen beachten – auch wenn die Finanzverwaltung vereinzelte Äußerungen zu tagespolitischen Themen als unbedenklich ansieht. Im Zweifel sollten sich gemeinnützige Organisationen an einen Experten für Gemeinnützigkeitsrecht wenden, bevor sie politische Aktivitäten durchführen.
Weiterlesen:
Dürfen NPOs Politiker kritisieren?
Aberkennung der Gemeinnützigkeit