
Die aktuelle Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen (BT-Drucks. 20/15035) treibt die Debatte über die politische Betätigung von NPOs und NGOs auf einen neuen Höhepunkt.
Kern der Anfrage sind Vorwürfe, staatlich geförderte oder gemeinnützige Organisationen nutzten ihre Mittel für parteipolitische Kampagnen – insbesondere gegen die CDU selbst. Dies untergrabe – so die Fragesteller – das Prinzip der Chancengleichheit im demokratischen Prozess.
Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen, analysiert die konkreten Vorwürfe und ordnet das Spannungsfeld zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und gemeinnützigkeitsrechtlichen Grenzen ein.
Hintergründe der Kleinen Anfrage
Auslöser der parlamentarischen Initiative sind Demonstrationen gegen die jüngste Politik der CDU im Vorfeld der Bundestagswahl, zu denen einige Organisationen aufgerufen oder an denen sie sich beteiligt haben.
Die CDU/CSU wirft diesen Organisationen vor, durch ihre Aktivitäten gezielt Wahlkampf gegen die Union zu betreiben – teils unter Nutzung staatlicher Fördermittel aus Programmen wie „Demokratie leben!“. Die Fragesteller verweisen für steuerbegünstigte Organisationen zudem auf § 55 der Abgabenordnung (AO), der gemeinnützigen Körperschaften die Verwendung ihrer Mittel für die unmittelbare oder mittelbare Parteienförderung verbietet.
Die Anfrage datiert auf den 21.02.2025, wurde jedoch erst nach der Wahl eingereicht. Kritiker sehen in der Anfrage einen „Einschüchterungsversuch“ nach autoritären Mustern.
Die Liste der genannten Organisationen ist lang. 17 Organisationen will die CDU unter die Lupe genommen wissen. Die Fragen der Unionsfraktion beziehen sich unter anderem auch auf das Recherchenetzwerk Correctiv, das Netzwerk Campact, Attac, die Amadeu Antonio Stiftung, die Tierschutzorganisationen Peta und Animal Rights Watch, die Organisation Foodwatch, den BUND, das Netzwerk Recherche und den Verein Neue deutsche Medienmacher*innen.
Zentrale Inhalte der Anfrage
Die 551 Fragen gliedern sich in drei Hauptstränge:
1. Finanzströme und Transparenz
Die Union fordert detaillierte Auskünfte über die Höhe staatlicher Zuwendungen, deren Herkunft (z.B. aus Einzelplänen des Bundeshaushalts) und die Verwendung durch Organisationen.
Beispielsweise wird gefragt, welchen Anteil öffentliche Mittel an der Gesamtfinanzierung ausmachen, welchen Anteil an der Gesamtfinanzierung Spenden aus Wirtschaft oder von parteinahen Stiftungen ausmachen und ob es Verbindungen zu Regierungsbehörden gibt, die die Finanzierung der Organisation sicherstellen.
2. Politische Einflussnahme
Bezüglich der 17 benannten Organisationen fragt die CDU/CSU-Fraktion ab, inwieweit deren Aktivitäten die Grenze zur Parteipolitik überschreiten. Gefragt wird nach Verbindungen zu Politikern oder Parteien, zur finanziellen Unterstützung von Protesten, zur Partizipation am Wahlkampf, zur Kooperation mit parteinahen Stiftungen, ob aus den Internetauftritten politische Tendenzen ersichtlich seien, gezielte Kampagnenarbeit betrieben würde und nach den Auswirkungen der Betätigung der jeweiligen Organisation auf die öffentliche Meinungsbildung, Wahlergebnisse oder politische Entscheidungen.
3. Kontrolle
Die Anfrage thematisiert bestehende Regelungslücken und „warnt“ vor den Gefahren der NGOs als „Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“. Die Fragen beschäftigen sich auch damit, wann die Gemeinnützigkeit der betreffenden Organisationen zuletzt geprüft wurde, ob die Organisationen in der Vergangenheit „abgemahnt“ oder „verwarnt“ wurden, ob Mittel für parteipolitische Zwecke zweckentfremdet wurden.
Das Spannungsfeld: Engagement vs. Neutralität
Zivilgesellschaft als demokratische Kontrollinstanz
Organisationen wie Campact oder Deutsche Umwelthilfe decken Missstände auf und stoßen politische Debatten an. Ihre Arbeit stärkt die deliberative Demokratie, indem sie Themen jenseits des Parteienwettbewerbs setzt. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung die Schutzbedürftigkeit solcher „dritter Akteure“ im Meinungsbildungsprozess.
Risiken der Instrumentalisierung
Gleichzeitig bergen staatliche Förderprogramme wie „Demokratie leben!“ das Risiko, dass Regierungen zivilgesellschaftliche Akteure indirekt für eigene Ziele vereinnahmen. Die CDU/CSU wirft der Ampel-Koalition vor, über NGOs politisches Agenda-Setting zu betreiben, das parlamentarische Verfahren zu umgehen.
Wie bewerten wir die Debatte?
Gemeinnützigkeit setzt gemäß § 52 AO voraus, dass Organisationen ausschließlich gemeinnützige Zwecke wie „Förderung des demokratischen Staatswesens“ oder „Umweltschutz“ verfolgen. Nach der BUND-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 20.03.2017, X R 13/15) ist die notwendige politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen zur Zweckverfolgung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Nach der Attac-Rechtsprechung ist politische Bildungsarbeit der geistigen Offenheit verpflichtet und erfordert die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens eine umfassende Befassung mit demokratischen Grundprinzipien und ist der parteipolitischen Neutralität und Objektivität verpflichtet. Nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung ist die vereinzelte Stellungnahme gemeinnütziger Organisationen zu tagespolitischen Themen nicht zu beanstanden. Letztlich ist zu berücksichtigen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch gemeinnützigen und öffentlich geförderten Körperschaften zusteht.
Die Abgrenzung zwischen zulässiger politischer Betätigung und politischer Einflussnahme ist nach dem Vorgenannten naturgemäß fließend und kaum objektivierbar, geschweige denn verallgemeinerbar. Genau darin liegt das Risiko für Nonprofits, die dem durch fehlende Kodifizierung gegebenen Auslegungsspielraum zum Opfer zu fallen. Eine Kampagne gegen Rechtsextremismus kann dann unter den Bildungsauftrag subsumiert werden, die Erweiterung des Demonstrationsgegenstandes um tagesaktuelle Politik der CDU gegebenenfalls nicht.
Die ursprünglich geplante Änderung des § 58 AO durch die scheidende Bundesregierung – die gelegentliche politische Stellungnahmen erlauben wollte – wäre zwar ggf. nur ein kleiner Schritt gewesen, aber zumindest einer in die richtige Richtung: die Rechtssicherheit zu erhöhen und den Handlungsspielraum für NPOs zu erweitern. Die CDU/CSU kritisiert dies als „Einfallstor“ für parteiische Einflussnahme und hebt klar die Absicherung gegen Missbrauch als notwendigen Regelungsgegenstand in den Fokus.
Balanceakt zwischen Engagement und Neutralität
Die Kleine Anfrage zeigt, dass der rechtliche Rahmen dringend präzisiert werden muss. Während die Union eine restriktivere Auslegung des § 52 AO fordert, plädieren NPOs für mehr Spielraum zur politischen Artikulation.
Die Debatte um die Kleine Anfrage offenbart einen grundlegenden Konflikt:
- Wie viel politische Mitwirkung ist im gemeinnützigen Sektor zulässig, ohne die Chancengleichheit der Parteien zu gefährden?
- Welche Rolle nimmt die Zivilgesellschaft im Prozess der Meinungsbildung ein?
- Welche Regelungsdichte gewährleistet, dass sich Pluralität, das Recht zur freien Meinungsäußerung, die effektive Verfolgung gemeinnütziger Zwecke und die Chancengleichheit der Parteien die Waage halten?
Vor allem staatlich geförderte und gemeinnützige Körperschaften müssen weiterhin sorgfältig abwägen, ob ihre Aktivitäten noch vom Gemeinwohlgedanken gedeckt sind – oder bereits in den Bereich der politischen Kampagnenarbeit rutschen.
Für betroffene Organisationen zeigt die jüngste Entwicklung, wie wichtig es ist, Satzungszwecke klar zu konturieren und Zweckverfolgungsmaßnahmen und politisches Engagement sorgfältig zu planen, um Gemeinnützigkeit und gesellschaftlichen Einfluss im Einklang zu halten.
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