In einer aktuellen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) wichtige Leitlinien für Stiftungen aufgestellt, die die Vertretungsmacht ihrer Vorstände in ihren Satzungen beschränken möchten bzw. bereits beschränkt haben. Stiftungen sollten dieses Thema nicht vernachlässigen: Denn der Fall vor dem BGH zeigt, dass eine nachlässige Satzungsgestaltung sehr schnell zu hohen Schadensersatzforderungen führen kann.
Streit in Millionenhöhe
Der Streit vor dem BGH betraf eine gemeinnützige Stiftung, die von einer GmbH auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 25 Mio. Euro verklagt wurde. Der Grund: Die Stiftung und die GmbH hatten ursprünglich vereinbart, dass die Stiftung ihre Vermarktungs- und Verwertungsrechte an Produkten zur Schlaganfallbekämpfung an die GmbH überträgt. Im Gegenzug sollte die Stiftung eine Lizenzgebühr in Höhe von maximal 10% der Nettoeinnahmen von der GmbH erhalten. Nach der Vertragsunterzeichnung stellte die Stiftung jedoch fest, dass sie bei einer tatsächlichen Durchführung des Vertrages ihre Gemeinnützigkeit wegen Verstoßes gegen das Unmittelbarkeits- und Ausschließlichkeitsgebot verlieren würde. Um die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit zu verhindern, weigerte sie sich daher den Vertrag zu erfüllen. Daraufhin verklagte jedoch die GmbH die Stiftung auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 25 Mio. Euro vor dem Landgericht (LG) München.
LG München: Kein wirksamer Vertrag zwischen Stiftung und GmbH
Vor dem LG München argumentierte die Stiftung mit Erfolg, dass sie keinen wirksamen Vertrag mit der GmbH abgeschlossen habe und ihr somit auch keinen Schadensersatz schulde. Denn die Vertretungsmacht ihres Vorstandes beschränke sich auf den Stiftungszweck, der in der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke bestehe. Es lag jedoch bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Verstoß gegen den Stiftungszweck vor, da der Stiftung bei Erfüllung des Vertrages die Gemeinnützigkeit aberkannt worden wäre. Der Stiftungsvorstand habe den Vertrag somit ohne Vertretungsmacht abgeschlossen, sodass er unwirksam sei.
OLG München: Wirksamer Vertrag liegt vor
Das OLG München hob jedoch das Urteil des LG München auf. Die Satzung der Stiftung sei unklar formuliert, da sie zwei Stiftungszwecke nenne: zum einen die „Verfolgung gemeinnütziger Zwecke“ und zum anderen die „Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens“. Aus dem Wortlaut der Satzung gehe allerdings hervor, dass die „Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens“ der eigentliche Zweck der Stiftung sei, so das Gericht. Der Zweck „Verfolgung gemeinnütziger Zwecke“ sei dagegen nur in der Satzung enthalten, damit die Satzung die Anforderungen der Mustersatzung erfülle und die Stiftung somit als gemeinnützig anerkannt werden könne.
Mit anderen Worten: Der Zweck „Verfolgung gemeinnütziger Zwecke“ stehe lediglich aus steuerlichen Gründen in der Satzung. Somit stelle der Zweck „Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens“ den eigentlichen Stiftungszweck dar. Dieser sei auch mit dem Vertrag über die Lizenzierung der Vermarktungs- und Verwertungsrechte an den Produkten zur Schlaganfallbekämpfung vereinbar. Denn hierdurch könnten diese Produkte in einem größeren Umfang als bisher eingesetzt und damit dauerhaft im Gesundheitssystem etabliert werden. Somit profitiere das öffentliche Gesundheitssystem von der Durchführung dieses Vertrages, sodass kein Verstoß gegen den Stiftungszweck vorliegen könne. Der Stiftungsvorstand habe die Stiftung bei Vertragsabschluss daher wirksam vertreten, sodass die Stiftung der GmbH Schadensersatz schulde.
BGH: Kein wirksamer Vertrag zustande gekommen
Die Stiftung wollte die Entscheidung des OLG München nicht akzeptieren und legte Revision beim BGH ein. Mit Erfolg, denn der BGH hob das Urteil des OLG München auf. Es sein kein wirksamer Vertrag zustande gekommen, sodass die Stiftung der GmbH keinen Schadensersatz schulde, so das oberste Gericht. Zunächst stellte der BGH klar, dass die Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstandes klar und deutlich aus der Satzung hervorgehen müsse. Zwar erkannte der BGH ebenfalls, dass die Satzung der Stiftung auf den ersten Blick zwei Zwecke enthält. Im Gegensatz zum OLG München entschied der BGH jedoch, dass die „Verfolgung gemeinnütziger Zwecke“ der eigentliche Stiftungszweck sei und dies auch klar aus der Satzung hervorgehe. Dafür spreche gerade die Tatsache, dass sich die Satzung der Stiftung an den Formulierungen der Mustersatzung orientiere. Denn hierdurch zeige die Satzung, dass der Status der Gemeinnützigkeit eine bedeutende Rolle für die Stiftung einnehme, die durch die Beschränkung der Vertretungsmacht des Stiftungsvorstandes auf den Stiftungszweck „Verfolgung gemeinnütziger Zwecke“ explizit geschützt werden soll. Das allein sei der Sinn und Zweck dieser Satzungsregelung, so der BGH. Da der Abschluss des Vertrages jedoch zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Stiftung geführt hätte, war die Vertretungsmacht des Vorstandes im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beschränkt, sodass kein wirksamer Vertrag geschlossen werden konnte.
Vertragspartner von NPOs müssen mit Unsicherheit leben
Zwar sei es im Einzelfall schwierig zu entscheiden, ob ein Vertrag tatsächlich gemeinnützigkeitsschädlich sei oder nicht. Es könne der Stiftung jedoch nicht zugemutet werden, den Zweck „Verfolgung gemeinnütziger Zwecke“ in ihrer Satzung näher zu konkretisieren, da dies aufgrund der vielen theoretisch möglichen Vertragskonstellationen schlichtweg nicht möglich sei. Unternehmen, die mit einer gemeinnützigen Stiftung einen Vertrag schließen möchten, müssen daher stets davon ausgehen, dass gemeinnützigkeitsschädliche Verträge nicht von der Vertretungsmacht des Stiftungsvorstands umfasst sind und somit nicht wirksam zustande kommen können. Betroffene Vertragspartner können jedoch gemäß § 179 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vom jeweiligen Stiftungsvorstand Schadensersatz verlangen, sofern sie bei Vertragsschluss gutgläubig von der Vertretungsmacht des Stiftungsvorstandes ausgehen durften, obwohl der Stiftungsvorstand in Wirklichkeit über keine Vertretungsmacht verfügte und sich die Stiftung daraufhin weigert, den Vertrag zu erfüllen.
Richtige Entscheidung des BGH
Wir halten die Entscheidung des BGH für richtig. Der BGH hat zu Recht entschieden, dass die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke den eigentlichen Zweck der Stiftung darstellt. Denn mit dem Status der Gemeinnützigkeit sind nicht nur viele Rechte, sondern auch viele Pflichten verbunden, an die sich die tatsächliche Geschäftsführung der Stiftung zwingend orientieren muss.
Rechtsstreit lässt sich vermeiden
Der Fall zeigt, dass Stiftungen nicht am falschen Ende sparen sollten. Die Stiftung hätte den gesamten Rechtsschreit vom LG München bis zum BGH vermeiden können, wenn sie sich vorab eine verbindliche Auskunft bei ihrem Finanzamt eingeholt bzw. zumindest das Gespräch mit einem Experten für Gemeinnützigkeitsrecht gesucht hätte. Denn dadurch hätte sie noch vor Vertragsabschluss rechtssicher klären können, ob sie den Vertrag tatsächlich erfüllen darf, ohne ihre eigene Gemeinnützigkeit zu gefährden. Zu beachten ist ferner, dass der BGH in diesem Verfahren lediglich über den Schadensersatzanspruch der GmbH gegen die Stiftung entschieden hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat die GmbH jedoch auch noch eine Schadensersatzklage gegen den Stiftungsvorstand selbst eingereicht, da dieser einen Vertrag mit der GmbH abgeschlossen hat, obwohl er die Stiftung überhaupt nicht vertreten dufte. Wie diese Klage ausgeht, bleibt abzuwarten.
BGH, Urteil vom 15.04.2021 – III ZR 139/20
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