Ende letzten Jahres trat das Jahressteuergesetz 2020 in Kraft, das das Gemeinnützigkeitsrecht umfassend reformiert hat. Anfang August hat sich nun auch die Finanzverwaltung zu dieser Reform geäußert, indem sie den sog. Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) geändert hat. Dabei handelt es sich um eine interne Anweisung der Finanzverwaltung zur Auslegung der Abgabenordnung, die die Arbeit der Finanzbeamten bundesweit einheitlich gestalten soll. Die Änderungen des AEAO dürften nicht unumstritten bleiben: Nicht alle Änderungen des AEAO sind zu begrüßen, und sie verstoßen teilweise auch gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.
Ausnahme vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung
Eine gemeinnützige Organisation muss das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung beachten. Das bedeutet: NPOs müssen ihre Mittel spätestens zwei Jahre, nachdem sie diese Mittel erhalten haben, für die in ihrer Satzung festgelegten steuerbegünstigten Zwecke verwenden. Im Rahmen der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts hat der Gesetzgeber hierzu eine weitere Ausnahmeregelung eingeführt. Danach sind NPOs, deren Einnahmen jährlich weniger als 45.000 Euro betragen, von der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung befreit.
Der Gesetzgeber will kleinere NPOs von unnötiger Bürokratie entlasten. Die Finanzverwaltung ist jedoch der Ansicht, dass für die Berechnung der 45.000-Euro-Grenze auch Einnahmen berücksichtigt werden müssen, die überhaupt nicht der zeitnahen Mittelverwendung unterliegen, wie z.B. Zuwendungen in das Vermögen einer NPO. Die Folge: Nur wenige NPOs werden diese Ausnahmeregelung tatsächlich in der Praxis nutzen können. Die Auffassung der Finanzverwaltung führt somit in vielen Fällen nicht zu der vom Gesetzgeber intendierten Entlastung von unnötiger Bürokratie für kleinere NPOs.
Mittelweiterleitung an andere NPOs
Dank der Reform können NPOs seit Jahresanfang ihre Mittel unbegrenzt an andere NPOs im In- und Ausland weiterleiten – auch wenn keine entsprechende Satzungsregelung existiert. Eine Satzungsregelung ist nur dann erforderlich, wenn die Weitergabe von Mitteln die einzige Art der Zweckverwirklichung einer NPO darstellen soll.
Erfreulicherweise stellt die Finanzverwaltung klar, dass die Zwecke der weiterleitenden NPO nicht mit den Zwecken der empfangenden NPO übereinstimmen müssen. Somit darf aus Sicht der Finanzverwaltung etwa ein Verein, der den Zweck „Sport“ fördert, seine Mittel auch an ein Theater weiterleiten, das den Zweck „Kultur“ fördert. Nach der alten Rechtslage wäre dies nur möglich gewesen, wenn der Verein neben dem Zweck „Förderung des Sports“ auch den Zweck „Förderung der Kultur“ satzungsgemäß verankert hätte.
NPOs müssen jedoch in solchen Fällen prüfen, ob die (geplante) Mittelweiterleitung auch zivilrechtlich möglich ist. Der Grund: Spenden sind in der Regel – entweder ausdrücklich oder stillschweigend – zweckgebunden, sodass die NPOs sie nur für einen bestimmten Zweck verwenden dürfen. Leitet z.B. der Sportverein eine Spende, die nach dem Willen des Spenders explizit der Jugendabteilung des Sportvereins zugutekommen soll, zweckwidrig an das Theater weiter, könnte der Spender sein gespendetes Geld vom Verein zurückfordern. Eine Weiterleitung der Spende wäre daher nur zulässig, wenn es dem Spender tatsächlich nur um den Spendenabzug als solchen im Rahmen seiner Veranlagung geht – das dürfte jedoch nur selten der Fall sein.
Kooperationen zwischen NPOs
Viele ökonomisch sinnvolle oder sogar notwendige Kooperationen zwischen NPOs waren nach der bisher geltenden Rechtslage erschwert oder jedenfalls nicht steuerbegünstigt möglich. Denn häufig machte das Gebot der Unmittelbarkeit, wonach NPOs ihre satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklichen müssen, diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. So konnten etwa Servicegesellschaften, wie z.B. die Wäscherei eines Krankenhauses, in der Vergangenheit nicht als gemeinnützig anerkannt werden, da sie lediglich Unterstützungsleistungen an eine andere NPO erbringen und nicht selbst unmittelbar gemeinnützig tätig werden. Nach neuer Rechtslage können diese jedoch als gemeinnützig anerkannt werden, da der Gesetzgeber eine unmittelbare Zweckverwirklichung fingiert, wenn die jeweilige Servicegesellschaft gemeinsam mit mindestens einer weiteren gemeinnützigen Organisation einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht.
Die Finanzverwaltung verlangt jedoch zusätzlich, dass die Satzung der Servicegesellschaft eine Angabe darüber enthält, mit welchen NPOs die Servicegesellschaft kooperiert und wie diese Kooperation konkret ausgestaltet ist. Diese den Anwendungsbereich der Neuregelung ggf. massiv einschränkende Auslegung der Finanzverwaltung ist zu kritisieren, da sie keine Grundlage im Gesetz findet. Zudem ist sie unklar formuliert, da aus ihr nicht hervorgeht, ob die kooperierenden NPOs namentlich oder lediglich abstrakt (z.B. alle NPOs mit dem Zweck „Sport“) in der Satzung bezeichnet werden müssen. Da bei jedem neuen Auftrag einer NPO zunächst eine Satzungsänderung bei der jeweiligen Servicegesellschaft notwendig wird, führt die Ansicht der Finanzverwaltung außerdem zu unnötiger Bürokratie – und das bei einem Gesetz, das nach seiner Begründung Bürokratie abbauen soll.
Gemeinnützige Servicegesellschaften nutzen
Dennoch bietet die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts auch unter den Restriktionen der Auffassung der Finanzverwaltung viele Chancen für NPOs: Die Möglichkeit, gemeinnützige Servicegesellschaften zu errichten bzw. bestehende Servicegesellschaften als gemeinnützig anzuerkennen, sollten NPOs nicht ungenutzt lassen. Der Grund: Neben den haftungsrechtlichen Vorteilen einer Ausgliederung bestimmter Bereiche bieten Servicegesellschaften dank der Reform auch finanzielle Vorteile: Denn mit der Anerkennung als gemeinnützige Gesellschaft sind die Servicegesellschaften von der Körperschaft-, Gewerbe- und Grundsteuer befreit – eine klare Win-Win-Situation.
Keine Kooperation mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts
Nach der Verlautbarung der Finanzverwaltung dürfen NPOs allerdings nicht mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts selbst, sondern nur mit ihren steuerbegünstigten Betrieben gewerblicher Art steuerbegünstigt kooperieren. Auch diese Auslegung kritisieren wir: Es ist widersprüchlich, dass die Finanzverwaltung zwar einerseits Mittelweiterleitungen einer NPO an eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die die erhaltenen Mittel für ihre steuerbegünstigten Zwecke verwendet, als zulässig erachtet, Kooperationen zwischen den beiden Organisationen dagegen nicht. Denn in beiden Fällen werden steuerbegünstigte Zwecke verwirklicht, sodass die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Mittelweiterleitungen und Kooperationen nicht gerechtfertigt ist.
Erleichterte Errichtung von NPO-Konzernen
Das Unmittelbarkeitsgebot behinderte in der Vergangenheit auch den Aufbau von NPO-Konzernen bzw. NPO-Holdingstrukturen. Denn innerhalb eines Konzerns verwirklichen in der Regel nur die Tochter-NPOs unmittelbar selbst die gemeinnützigen Zwecke. Dagegen kann die Holdinggesellschaft ihre Satzungszwecke nur mittelbar über ihre Tochtergesellschaften verwirklichen. Somit konnten bisher nur die operativ tätigen Tochtergesellschaften als gemeinnützig anerkannt werden, während die Holdinggesellschaft voll steuerpflichtig blieb, sofern sie nicht selbst unmittelbar gemeinnützig tätig wurde. Seit der Gesetzesänderung fingiert der Gesetzgeber jedoch eine unmittelbare Zweckverwirklichung, wenn eine Gesellschaft ausschließlich Anteile an gemeinnützigen Gesellschaften hält und verwaltet. Zu begrüßen ist hier die Auffassung der Finanzverwaltung, dass die Fiktion bereits bei einer Beteiligung an einer einzigen NPO greift und auch keine Mindestbeteiligungsquote notwendig ist. Ferner darf die Holdinggesellschaft parallel auch Anteile an steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften halten.
Werden Betriebsprüfer die strikten Vorgaben umsetzen?
Der neue AEAO zeigt, dass die Finanzverwaltung die neuen gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorschriften teilweise sehr restriktiv auslegt. Unseres Erachtens schränkt dies die vom Gesetzgeber beabsichtigten Vereinfachungen für NPOs unnötig ein. Betroffene NPOs müssen für eine von der Auslegung der Finanzverwaltung abweichende Rechtsauffassung nun den Rechtsweg beschreiten. Es bleibt aber zunächst abzuwarten, ob insbesondere Betriebsprüfer die strikten Auslegungsvorgaben in der Praxis umsetzen.
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