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Virtuelle Generalversammlungen für Genossenschaften auch ohne Satzungsgrundlage?

Virtuelle Generalversammlungen für Genossenschaften auch ohne Satzungsgrundlage?

Um die Handlungsfähigkeit von NPOs während der Coronapandemie sicherzustellen, hat der Gesetzgeber im letzten Jahr das sog. Covid-19-Gesetz verabschiedet. Damit können beispielsweise Vereine bis zum Ende des Jahres ihre Beschlüsse auch in virtuellen Mitgliederversammlungen fassen – selbst wenn die Satzung hierzu keine Satzungsgrundlage enthält. Bisher sind viele Genossenschaften davon ausgegangen, dass auch sie von dieser Ausnahme profitieren können. Dieser Auffassung hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe jedoch kürzlich eine Absage erteilt und entschieden, dass virtuelle Generalversammlungen bei Genossenschaften trotz des Covid-19-Gesetzes weiterhin nur mit einer entsprechenden Satzungsregelung möglich sind.

Verschmelzung zweier Genossenschaften

In dem Fall vor dem OLG Karlsruhe ging es um eine Genossenschaft, die mit einer anderen Genossenschaft verschmelzen wollte. Hierzu fasste sie zunächst einen Verschmelzungsbeschluss im Rahmen ihrer Generalversammlung. Aufgrund der Corona-Beschränkungen fand diese Versammlung jedoch nicht in Präsenz- sondern in rein virtueller Form statt. Eine Regelung, die eine virtuelle Generalversammlung erlaubt hätte, enthielt die Satzung der Genossenschaft nicht. Die Genossenschaft vertraute darauf, dass auch sie von den großzügigen Regelungen des Covid-19-Gesetzes zu virtuellen Versammlungen profitieren könne.

Amtsgericht lehnt Eintragung der Verschmelzung ab

Das Amtsgericht (AG) Mannheim lehnte jedoch die Eintragung der Verschmelzung in das Genossenschaftsregister ab. Der Grund: Die Genossenschaft hätte die Verschmelzung nach den umwandlungsrechtlichen Vorschriften nur auf einer Präsenzversammlung beschließen dürfen. Eine virtuelle Versammlung sei nicht ausreichend, so das Gericht. Mit dieser Entscheidung wollte sich die Genossenschaft nicht abfinden und legte daher Beschwerde beim OLG Karlsruhe ein. 

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Virtuelle Versammlungen nur mit Satzungsgrundlage

Doch auch vor dem OLG Karlsruhe blieb die Genossenschaft erfolglos. Denn das OLG bestätigte die Entscheidung des AG Mannheim im Ergebnis, allerdings mit einer anderen Begründung. Zunächst stellte das Gericht klar, dass eine Verschmelzung auch auf einer virtuellen Generalversammlung beschlossen werden dürfe. Allerdings müsse in solchen Fällen die Satzung der Genossenschaft eine virtuelle Generalversammlung auch ausdrücklich zulassen. Da die Satzung der betroffenen Genossenschaft jedoch keine entsprechende Satzungsregelung enthielt, sei der Verschmelzungsbeschluss ungültig. Das Amtsgericht habe daher zu Recht die Eintragung der Verschmelzung in das Genossenschaftsregister verweigert. 

Keine Regelung für virtuelle Generalversammlungen im Covid-19-Gesetz

Die Genossenschaft könne sich auch nicht auf das Covid-19-Gesetz berufen, so das Gericht. Der Grund: Im Gegensatz zu Vereinen ermögliche das Gesetz für Genossenschaften überhaupt keine virtuellen Versammlungen ohne Satzungsgrundlage. Das Covid-19-Gesetz erlaube bei Genossenschaften nämlich lediglich, dass Beschlüsse auch außerhalb einer Generalversammlung entweder schriftlich oder elektronisch gefasst werden dürfen – selbst wenn keine entsprechende Satzungsregelung existiert, die diese Formen der Beschlussfassung erlauben würde. Die elektronische Beschlussfassung außerhalb einer Versammlung sei jedoch nicht mit einer virtuellen Versammlung gleichzusetzen. 

Geplante Ungleichbehandlung von Vereinen und Genossenschaften

Die Genossenschaft könne sich zudem nicht auf die Vorschriften des Covid-19-Gesetzes berufen, die für Vereine gelten und virtuelle Versammlungen auch ohne Satzungsgrundlage zulassen. Denn der Gesetzgeber habe die Erleichterungen im Covid-19-Gesetz für jede Rechtsform individuell festgelegt, so das Gericht. Es handle sich somit um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, virtuelle Versammlungen bei Vereinen zuzulassen, bei Genossenschaften dagegen nicht. 

Entscheidung behindert NPOs in ihrer Arbeit

Wir halten die Entscheidung des Gerichts für falsch. Oberste Zielsetzung des Covid-19-Gesetzes ist es, die Handlungsfähigkeit von NPOs während der Coronapandemie sicherzustellen. Das bedeutet jedoch auch, dass NPOs trotz der Pandemie weiterhin in der Lage sein sollen, Umwandlungen durchzuführen bzw. sich zusammenzuschließen. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe bewirkt das genaue Gegenteil und hindert NPOs daran, sich so schnell und effektiv wie möglich umzuwandeln, da sie ggf. zunächst eine Satzungsänderung durchführen müssen. Zwar stimmt es, dass der Wortlaut des Covid-19-Gesetzes keine virtuellen Versammlungen ohne Satzungsgrundlage bei Genossenschaften zulässt.  Aufgrund der klaren Zielsetzung und der Eile, mit der das Gesetz zu Beginn der Pandemie verabschiedet werden musste, gehen wir jedoch davon aus, dass der Gesetzgeber es schlichtweg vergessen hat, den Wortlaut der Vorschriften für Genossenschaften an die Vorschriften für Vereine anzupassen. Denn es ist nicht ersichtlich, warum Vereine während der Pandemie von größeren Erleichterungen profitieren sollen als Genossenschaften. Das Covid-19-Gesetz ist daher weit auszulegen, sodass virtuelle Versammlungen ohne Satzungsgrundlage nicht nur für Vereine, sondern auch für Genossenschaften möglich sein sollten.

BGH entscheidet möglicherweise über Regelung

Erfreulicherweise hat das OLG Karlsruhe die Beschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, sodass es bald eine höchstrichterliche Entscheidung zur genauen Reichweite des Covid-19-Gesetzes geben könnte. Unabhängig vom konkreten Ausgang des Verfahrens sollten betroffene Genossenschaften jedoch beachten, dass das Covid-19-Gesetz ohnehin nur noch bis zum Ende des Jahres anwendbar ist. Ab dem 01.01.2022 muss die Satzung daher zwingend – egal ob Verein oder Genossenschaft oder auch Stiftungen – eine entsprechende Regelung für virtuelle Versammlungen enthalten. Mit einer Satzungsänderung können Genossenschaften daher zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen können sie dadurch die zum Teil strenge Auslegung des Covid-19-Gesetzes durch die Gerichte vermeiden und zum anderen sind sie bestens auf die Zeit nach Ablauf des Covid-19-Gesetzes vorbereitet. Unsere Experten für Genossenschaften und Satzungsgestaltungen unterstützen Sie gerne.

OLG Karlsruhe, Beschluss v. 23.03.2021 – 1 W 4/21 (Wx)

Weiterlesen:

Genossenschaftsrecht – Gründung, Compliance, Prüfung
Virtuelle Mitgliederversammlung

Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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