In einem kürzlich bekannt gewordenen Urteil hat das OLG Brandenburg zum Stimmverbot des § 47 GmbHG Stellung genommen.
Veräußerung von Tochtergesellschaften an AG
Eine GmbH wollte vier Tochtergesellschaften an eine AG veräußern. Die GmbH hatte zwei Gesellschafter, wobei der eine zu 49 Prozent, der andere zu 51 Prozent beteiligt war. Alleinaktionärin der AG war ebenfalls eine GmbH, an der beide Gesellschafter in gleicher Weise beteiligt waren. In beiden GmbHs waren die Gesellschafter auch alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer. Der Mehrheitsgesellschafter war zugleich Vorstandsvorsitzender der AG.
Die erstgenannte GmbH fasste einen Beschluss über den Verkauf der Tochtergesellschaften an die AG. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Klage des Minderheitsgesellschafters. Er ist der Auffassung, der Mehrheitsgesellschafter hätte wegen einer Interessenkollision nicht mitstimmen dürfen. Das OLG Brandenburg sieht ein Stimmverbot nicht gegeben und begründet dies ausführlich. Dabei befasst sich das Gericht auch mit der Bestellung eines Versammlungsleiters während der Gesellschafterversammlung.
Versammlungsleiter der Gesellschafterversammlung
Eine Gesellschafterversammlung kann von einem Versammlungsleiter geleitet werden. Ihm kann die Befugnis zukommen, Beschlüsse förmlich festzustellen. Eine solche Feststellung hat zur Folge, dass Beschlüsse vorläufig rechtskräftig werden und von Gesellschaftern, die mit dem Ergebnis nicht einverstanden sind, angefochten werden müssten. Entsteht Streit über die Wirksamkeit eines Beschlusses, ohne dass er förmlich festgestellt wurde, müssten die Gesellschafter Feststellungsklage erheben.
Üblicherweise sind Versammlungsleitung und Feststellungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag geregelt. Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, sind die Gesellschafter aufgrund ihrer Organisationshoheit frei, in Gesellschafterversammlungen spontan einen Versammlungsleiter zu bestellen und ihn mit entsprechenden Befugnissen auszustatten. Dies kann, soweit sich aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt, mit einfacher Mehrheit erfolgen.
Beschränkung des Stimmrechts eines Gesellschafters
Nach § 47 Abs. 4 GmbHG hat ein Gesellschafter u.a. dann kein Stimmrecht, wenn der zu fassende Beschluss die Durchführung eines Rechtsgeschäfts ihm gegenüber betrifft.
Der Kläger war der Auffassung, der Mehrheitsgesellschafter hätte bei der Gesellschafterversammlung der GmbH nicht mitstimmen dürfen, weil er mittelbar auch Mehrheitsgesellschafter der AG war, an welche die Tochtergesellschaften veräußert werden sollten. Mit seiner beherrschenden Stellung in der AG sei die Gefahr verbunden, dass er in der Gesellschafterversammlung der GmbH nicht deren Interessen, sondern diejenigen der AG durchsetze.
Keine Ausnahme vom Stimmverbot
Das Gericht stellt ausführlich dar, dass keine Ausnahme vorliegt, die ein Stimmverbot trotz eigener Betroffenheit eines Gesellschafters auslösen könnte. Beispielsweise handele es sich bei dem Verkauf von Tochtergesellschaften nicht um einen „körperschaftlichen Sozialakt“, d.h. um eine Angelegenheit des innergesellschaftlichen Lebens. Ebenfalls liege keine materielle Geschäftsführerangelegenheit und keine gleichmäßige Betroffenheit aller Gesellschafter vor.
Keine unmittelbare Anwendung des Stimmverbots
Allerdings scheidet für das Gericht bereits eine unmittelbare Anwendung von § 47 Abs. 4 GmbH aus. Der Verkauf der Tochtergesellschaften erfolgt nämlich nicht direkt an den Mehrheitsgesellschafter, sondern an die AG. Gegenstand des Beschlusses ist also kein Rechtsgeschäft der GmbH mit einem Gesellschafter.
Analoge Anwendung des Stimmverbots
Zuletzt prüft das Gericht die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des Stimmverbots. Wenn der Mehrheitsgesellschafter auch nicht unmittelbar Vertragspartner sei, so sei er doch zumindest Mehrheitsgesellschafter des Vertragspartners und insoweit vom Verkauf auch selbst betroffen.
Doch im vorliegenden Fall sieht das Gericht keinen Raum für eine analoge Anwendung. Vom Stimmverbot erfasst sei nicht jedes Rechtsgeschäft einer GmbH mit einer anderen Gesellschaft, an der einer ihrer Gesellschafter ebenfalls beteiligt ist. Maßgebend sei vielmehr, „ob wegen der Beteiligung des GmbH-Gesellschafters an der Drittgesellschaft [hier der AG] deren Befangenheit typischerweise dazu führt, dass von ihrem Gesellschafter in der GmbH ein Vorrang der Eigeninteressen als Gesellschafter der Drittgesellschafter zu erwarten ist“. Danach liegt ein Stimmverbot vor, „wenn in der anderweitigen Beteiligung des Gesellschafters ein unternehmerisches Interesse verkörpert ist, das bei Entscheidungen über Rechtsgeschäfte mit dem fremden Unternehmen eine unbefangene Stimmabgabe in der Regel ausschließt und deshalb für die GmbH eine erhebliche Gefahr bedeutet“.
Verfolgung der Interessen auf beiden Seiten
Von entscheidender Bedeutung war für das Gericht, dass der Mehrheitsgesellschafter sowohl in der GmbH als auch (mittelbar) in der AG – als den beiden Vertragspartnern des Kaufvertrags über die Tochtergesellschaften – die Mehrheit der Anteile auf sich vereinte. In einem solchen Falle sei es nicht gewiss, in welcher Gesellschaft er seine Interessen mehr verfolge. Die Mehrheitsbeteiligung auf Seiten der AG führe deshalb von sich aus noch nicht zu einem Stimmverbot.
Auch sah das Gericht darin, dass der Mehrheitsgesellschafter zugleich Vorstandsvorsitzender der AG war, kein besonderes unternehmerisches Interesse, das ein Stimmverbot rechtfertigen würde.
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OLG Brandenburg, Urteil vom 05.01.2017 – 6 U 21/14
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