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Fall Pechstein zeigt: Schiedsgerichtsvereinbarungen müssen gut durchdacht sein

Aug 29, 22 • SportrechtKeine Kommentare
Fall Pechstein: Schiedsgerichtsvereinbarung muss durchdacht sein

1992 Albertville Frankreich: Die 20-jährige Claudia Pechstein betritt zum ersten Mal in ihrer Karriere das olympische Eis. Nun, 30 Jahre später, ist die Eisschnellläuferin erneut in den Schlagzeilen – diesmal weniger wegen ihrer sportlichen Leistungen, sondern wegen eines Siegs vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Verstoß gegen Dopingordnung: Vorwurf des Dopings

Ausschlaggebend für den fast 13 Jahre andauernden Streit war die Mehrkampf-WM in Hamar, Norwegen 2009. Bei der Anmeldung für diesen Wettkampf unterzeichnete Pechstein die obligatorischen Dokumente, mit denen sie sich unter anderem verpflichtete, nicht gegen die Dopingordnung zu verstoßen und eine Schiedsvereinbarung mit dem Verband „Deutsche Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft e.V.“ (DESG) nach den Statuten des Internationalen Sportgerichtshof (CAS) einzugehen. Nachdem bei Pechstein bei diesem Wettkampf auffällige Blutwerte (Retikulozytenwerte) festgestellt worden waren, wurde gegen sie der Vorwurf des indirekten Blutdopings erhoben.

Im Anschluss legte ihr der Verband DESG eine zweijährige Trainings- sowie Wettbewerbssperre auf. Ebenso stand ihr Status als Bundesbeamtin der Polizei infrage.

Pechstein legte sich nach Dopingsperre mit CAS an

Gegen diese Sperre legte Pechstein beim CAS Schiedsklage ein. Dieser bestätigte die zweijährige Sperre. Pechstein ging dagegen vor. Erst reichte sie Berufung beim CAS selber ein, dann klagte sie bei einem Schweizer Gericht. Dieses lehnt ihre Klage aufgrund einer Verzichtsklausel über die Erhebung einer Klage bei öffentlichen Gerichten in der Schiedsvereinbarung ab. Mangels Erfolges in der Berufung beim CAS zog Pechstein dann vor die deutschen Gerichte (Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof) bis hin zum BVerfG – und gewinnt. Ausschlaggebend dabei war unter anderem ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der eine Verletzung des Art. 6 EMRK im Verfahren des CAS rügte.

CAS und der Aufbau eines Schiedsgerichts

Der CAS ist ein Schiedsgericht unter Trägerschaft des International Council of Arbitration for Sport (ICAS). Das Gremium wurde zur Beilegung sportbezogener Streitigkeiten durch Schiedsverfahren und Mediation geschaffen. In der Verfahrensordnung des CAS sind der Ablauf des Schiedsverfahrens sowie die Bildung der zuständigen Kammer geregelt. Dabei fällt auf, dass von den 20 Ratsmitgliedern des ICAS, die später über den Schiedsrichter im CAS Verfahren entscheiden, 12 Mitglieder den Sportverbänden angehören. Diese 12 Mitglieder wählen dann 4 Vertreter der Sportler aus, welche dann wiederum gemeinsam mit den 12 ersten Mitgliedern noch 4 weitere „unabhängige“ Mitglieder auswählen. Aus seiner Mitte wählt der 20-köpfige Rat den Vorsitz des Senats für Schiedsverfahren sowie den Vorsitz des Senats für Berufungsverfahren. Außerdem bestimmen sie eine Liste von Schiedsrichtern, welche dann für die jeweiligen Schiedspositionen gewählt werden können.

Zu wenig Mitspracherecht für Sportler

Was fällt auf? Die Sportler, die vor dem Schiedsgericht gegen ihre jeweiligen Verbände vorgehen wollen, haben aus 20 Ratsmitgliedern nur 4 von den Verbänden bestimmte „Sportlervertreter“. Dies widerspricht der Idee eines Schiedsverfahrens, bei der beide Parteien gleichermaßen an der Besetzung des Schiedsgerichts beteiligt sein müssen. Die Sportler haben im Fall des CAS zu wenig Mitspracherecht und sind bei der Besetzung des Gerichts unterrepräsentiert.

Ausschluss staatlicher Gerichte und der Öffentlichkeit

In den Statuten des CAS, die jeder Sportler bei der Anmeldung zu einem Wettkampf im Einverständnis unterzeichnen muss, war ein Ausschluss der ordentlichen Gerichte vorgesehen. Der CAS hat den Anspruch, letztverbindlich anstelle der staatlichen Gerichte einheitlich über die rechtlichen Fragen des professionellen Sports zu entscheiden. Ein solcher Ausschluss ist üblich und auch nicht weiter zu beanstanden, wenn das Verfahren vor dem Schiedsgericht nach den Grundsätzen des Art. 6 EMRK sowie der Zivilprozessordnung abläuft.

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Im Fall Pechstein stellte sich die Frage, ob der Ausschluss der Öffentlichkeit durch den CAS die Verfahrensrechte von Pechstein verletzt hat. Die Öffentlichkeit ist nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK, sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz in einem Gerichtsverfahren grundsätzlich herzustellen. Dies ist ein Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit und soll eine „Geheimjustiz“ verhindern, bei der hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Die Öffentlichkeit dient der Kontrolle der Justiz. Allerdings kann diese aufgrund wichtiger Verfahrensgründe kurzzeitig oder auch für das gesamte Verfahren ausgeschlossen werden.

Hohe Anforderungen an Schiedsverfahren durch Ausschluss der Öffentlichkeit

Besonders streng sind die Regeln des Art. 6 Abs. 1 EMRK aber laut dem EGMR und dem BVerfG dann, wenn eine Partei keine andere Möglichkeit hat, als die Vereinbarung zu unterschreiben und in ihrer dargelegten Form zu akzeptieren. So liegt der Fall hier. Die Sportler müssen, um ihren Beruf ausüben zu können, an den Wettkämpfen teilnehmen. Über die Schiedsvereinbarung zu verhandeln oder diese zu verweigern ist ihnen praktisch nicht möglich.

Dementsprechend sind hohe Anforderungen an das Schiedsverfahren zu stellen, sodass die Sportler trotz des Verzichts auf den Gang zu öffentlichen Gerichten einen dem öffentlichen Rechtssystem ebenbürtigen Rechtsschutz haben.

Vorliegend hatte Pechstein einen Antrag auf Zulassung der Öffentlichkeit zur CAS-Verhandlung gestellt, dieser wurde abgelehnt. In dieser Ablehnung sieht der EGMR eine Verletzung der Verfahrensgrundsätze aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, weshalb der Rechtsschutz des Schiedsgerichts nicht dem eines staatlichen Gerichts ebenbürtig ist und die Sportlerin mithin vor den staatlichen Gerichten prozessieren darf.

Durch den grundlosen Ausschluss der Öffentlichkeit war Pechstein sowohl in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK sowie auch in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Schiedsgerichtsvereinbarungen müssen gut durchdacht sein

Sie wollen eine Schiedsvereinbarung schließen und Schiedsgerichte etablieren? Zunächst sollte sich die Frage gestellt werden, für was ein Schiedsgericht eingesetzt werden soll. Dann ist zu beachten, mit wem die Schiedsvereinbarung geschlossen werden soll. Dabei ist unter anderem darauf zu achten, dass eine Schiedsvereinbarung nicht mit Verbrauchern i.S.d. § 13 BGB geschlossen werden kann. Zudem ist darauf zu achten, dass beide Parteien gleichermaßen an der Bestimmung des Schiedsrichters teilhaben können. Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Etablierung eines Schiedsgerichts und das Durchführen von Schiedsverfahren meist teurer sind als ein Verfahren vor dem Amts- oder Landgericht. Unsere Spezialisten beraten Sie gerne bei der Erstellung einer solchen Vereinbarung.

BVerfG, Beschluss v. 03.06.2022 – 1 BvR 2103/16

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Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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