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Sind Mannschaftsärzte sozialversicherungspflichtig?

Sind Mannschaftsärzte sozialversicherungspflichtig?Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die Tätigkeit als Mannschaftsarzt für den VfL Wolfsburg nicht sozialversicherungspflichtig ist – eine auf den ersten Blick begrüßenswerte Entscheidung, von der alle Mannschaftsärzte von Sportvereinen profitieren könnten. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass sich Ärzte und Vereine lieber nicht auf dieses Urteil verlassen sollten.

Streit um den Versicherungsstatus des Mannschaftsarztes

Der Fall vor dem LSG Niedersachsen-Bremen betraf einen ehemaligen stellvertretenden Mannschaftsarzt des VfL Wolfsburg, konkret der ausgegliederten Lizenzspielerabteilung des Vereins (VfL Wolfsburg-Fußball GmbH). Der Mannschaftsarzt ist Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie und war zwischen November 2013 und Juni 2016 für die GmbH tätig. Für ihn handelte es sich um eine nebenberufliche Tätigkeit, da er hauptberuflich als Krankenhausarzt angestellt war. Anfang 2015 stellte er einen Antrag auf Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV), um klären zu lassen, ob er – bezogen auf seine Mannschaftsarzttätigkeit – in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig war.

DRV: Tätigkeit ist sozialversicherungspflichtig

Die DRV stellte im Rahmen ihrer Prüfung fest, dass die Tätigkeit des Mannschaftsarztes im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erfolge und somit eine Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehe. Folgende Merkmale sprachen nach Ansicht der DRV für eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung des Mannschaftsarztes in die Arbeitsorganisation der GmbH:

  • Hauptsächliche Ausübung der Tätigkeit auf dem Gelände des VfL Wolfsburg bzw. an vorgegeben Wettkampforten bei Spielen
  • Abhängigkeit der Arbeitszeiten vom Spiel- und Trainingsbetrieb des VfL Wolfsburg
  • Weisungsrecht der Geschäftsführung und des Trainerstabes im Hinblick auf die zu erbringenden Behandlungen
  • Pauschale, monatlich gleichbleibende Vergütung

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Zwar gebe es auch Merkmale, die für eine selbstständige Tätigkeit sprachen, wie z.B. die Weisungsfreiheit hinsichtlich Art und Inhalt der ärztlichen Behandlungen. Allerdings, so die DRV, überwogen die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung, sodass die Tätigkeit des Arztes sozialversicherungspflichtig sei. Die Folge: Die GmbH hätte sowohl die seit Beginn der Tätigkeit des Arztes fälligen Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Säumniszuschläge nachentrichten als auch zukünftig die jeweiligen Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung des Arztes bezahlen müssen.

Kein Erfolg vor dem Sozialgericht Braunschweig

Nachdem der Widerspruch gegen den Bescheid der DRV erfolglos blieb, reichte die GmbH schließlich Klage beim Sozialgericht (SG) Braunschweig ein. Doch auch hier blieb sie erfolglos: Das Gericht schloss sich der Ansicht der DRV an und wies die Klage ab. Die DRV habe die maßgeblichen Kriterien für die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung zutreffend erkannt und gewichtet. Insbesondere die örtliche und zeitliche Gebundenheit des Arztes bei Spielen spreche für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der GmbH. Zudem sei der Arzt an die Weisungen der Geschäftsführung und des Trainerstabs gebunden. Letztendlich liege auch kein Unternehmerrisiko vor, da der Arzt eine pauschale Vergütung erhalte.

LSG: Tätigkeit war sozialversicherungsfrei

In der nächsthöheren Instanz konnte die GmbH schließlich einen Sieg erreichen: Denn das LSG Niedersachsen-Bremen entschied zugunsten der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH und stufte die Tätigkeit des Mannschaftsarztes als selbstständig und damit sozialversicherungsfrei ein. Der Grund: Der Arzt sei weder weisungsgebunden noch in die Arbeitsorganisation der GmbH eingegliedert gewesen. Zunächst stellte das Gericht klar, dass sich das Kriterium der Weisungsgebundenheit bei ärztlichen Tätigkeiten ohnehin nicht als Abgrenzungskriterium eigne. Denn Ärzte handeln bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich immer frei und eigenverantwortlich. Daraus könne umgekehrt jedoch nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass Ärzte stets selbstständig tätig seien. Denn Ärzte können – je nach Ausgestaltung ihrer Tätigkeit – auch eine unselbstständige bzw. abhängige Beschäftigung, etwa als angestellte Krankenhausärzte, verfolgen. Da somit die Weisungsgebundenheit als Abgrenzungskriterium nicht tauge, müsse stattdessen u.a. die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers als maßgebliches Abgrenzungskriterium dienen. Eine solche Eingliederung liege vor allem dann vor, wenn der Arzt in die Arbeitsabläufe und in die Hierarchie der GmbH eingebunden sei, so das Gericht.

Keine Eingliederung des Arztes in die Arbeitsorganisation

Im Rahmen der Prüfung dieses Kriteriums kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass keine Eingliederung des Arztes in die Arbeitsorganisation der GmbH vorlag. Der Grund: Die Abhängigkeit der Arbeitszeiten des Arztes vom Spiel- und Trainingsbetrieb seien durch die Vorgaben der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der UEFA, den Sendezeiten im Fernsehen und der Verfügbarkeit der gegnerischen Mannschaften – und damit nicht durch den Betrieb der GmbH – bedingt. Aufgrund seiner Rolle als stellvertretender Mannschaftsarzt musste er zudem nur anwesend sein, sofern der erste Mannschaftsarzt verhindert war. Eine durchgehende Anwesenheitspflicht des Arztes wäre ohnehin aufgrund seiner hauptberuflichen Beschäftigung im Krankenhaus gar nicht möglich gewesen. War er im Einzelfall verhindert, so musste er für eine angemessene ärztliche Vertretung sorgen. Es bestand somit keine Pflicht für den Arzt zur höchstpersönlichen Leistungserbringung. Gleichzeitig trug er hierdurch auch ein gewisses Risiko, da er die Vertretung selbst bezahlen musste. Er war ferner nicht in die Hierarchie der GmbH eingebunden, da er seine Behandlungen allein ohne Mitwirkung anderer Ärzte oder weiteren Personals der GmbH durchführen konnte. Zwar musste er seine zu erbringenden Leistungen mit der Geschäftsführung und dem Trainerstab absprechen, das liege jedoch in der Natur der Sache. Aus der Natur der Sache ergebe sich ferner, dass der Arzt seine Tätigkeit hauptsächlich auf dem Gelände des VfL Wolfsburgs bzw. den jeweiligen Spielstätten ausübte.

Pauschale Vergütung spricht für Selbstständigkeit

Dass der Arzt eine pauschale Vergütung erhielt, spreche zudem für eine selbstständige Beschäftigung. Denn im Falle von Überstunden würde er – im Gegensatz zu einem Stundenlohn – keinen Ausgleich für seinen Mehraufwand erhalten. Der Arzt trage somit ein gewisses Vergütungsrisiko: Denn der monatliche Arbeitsaufwand sei – gerade in seine Rolle als stellvertretender Mannschaftsarzt – nicht vorhersehbar gewesen, sodass er mit keinem festen Stundensatz kalkulieren konnte.

Gegenteiliges Ergebnis bei Würdigung aller Umstände denkbar

Nicht nur Fußball- sondern alle Sportvereine dürften sich über dieses Urteil freuen. Allerdings ist die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen mit Vorsicht zu genießen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Prüfung einer möglichen Sozialversicherungspflicht eine umfassende Gesamtwürdigung aller tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Wir sind der Ansicht, dass in diesem Fall die Würdigung aller Umstände auch zum gegenteiligen Ergebnis hätte führen können. Denn der Arzt war zwar bei der Durchführung seiner Behandlungen weisungsfrei, durchführen durfte er sie allerdings nur, nachdem er sich mit der Geschäftsführung und dem Trainerstab über die konkret vorzunehmende Behandlung abgestimmt hatte – ein klares Indiz für die Eingliederung des Arztes in die Hierarchie der GmbH. Ferner sind wir der Ansicht, dass gerade eine Pauschalvergütung typischerweise ein Merkmal einer unselbstständigen Tätigkeit ist. Denn wer eine pauschale Vergütung erhält, kann kein Vergütungs- und damit Unternehmerrisiko tragen, wie zuletzt auch – zu Recht – das LSG Baden-Württemberg entschieden hat. Im konkreten Fall erhielt der Arzt seine Vergütung unabhängig davon, wie oft er tatsächlich für die GmbH tätig war, sodass er mit festen monatlichen Einnahmen aus seiner Tätigkeit rechnen konnte. Im Fall von Überstunden erhielt er zwar keine weitere Vergütung. Wie häufig dies tatsächlich relevant wurde, ist aber nicht belegt – genau darauf kommt es jedoch nach den Grundsätzen des BSG an.

Hinweis

Dieser Fall zeigt, wie komplex das Sozialversicherungsrecht ist und welche Fallstricke Sportvereinen drohen können. Er zeigt ebenfalls, dass sich die Frage, wann die Tätigkeit eines Mannschaftsarztes sozialversicherungspflichtig ist, nicht pauschal beantworten lässt und von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls abhängt. Hilfe von den Sozialgerichten können Sportvereine und ihre Lizenzspielerabteilungen nicht erwarten: Denn die Rechtsprechung der Sozialgerichte ist uneinheitlich und widersprüchlich. Es ist daher zum einen bedauerlich, dass das LSG Niedersachsen-Bremen die Revision zum BSG nicht zugelassen und zum anderen, dass die DRV – trotz der hohen Erfolgschancen – keine Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG eingereicht hat.

Um sich vor hohen Nachzahlungen und weiteren Haftungsrisiken zu schützen, sollten sich Sportvereine inkl. ihrer Lizenzspielerabteilungen an einen Experten für Sozialversicherungsrecht wenden. Dieser kann überprüfen, ob die (geplante) sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Mannschaftsarztes rechtskonform erfolgt und bei Fehlern geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen, bevor die nächste Betriebsprüfung ansteht. Ebenfalls kann er bei der Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens unterstützen, um Haftungsrisiken präventiv zu vermeiden.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03.11.2020 – L 9 R 520/17
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.2020 – L 11 BA 1596/19

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Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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