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Gleichberechtigung hat im Verein Vorrang vor Tradition

Gleichberechtigung hat im Verein Vorrang vor Tradition

Das Landgericht (LG) Memmingen hat entschieden, dass nicht nur Männer, sondern künftig auch Frauen am jährlichen Ausfischen des Stadtbaches in Memmingen teilnehmen dürfen. Die Diskriminierung von weiblichen Vereinsmitgliedern aufgrund einer jahrhundertelangen männlichen Tradition sei nicht gerechtfertigt, so das Gericht. Der betroffene Verein hat bereits angekündigt, keine Rechtsmittel gegen dieses Urteil einzulegen. Damit geht ein jahrelanger Streit zu Ende, in dem es vor allem um die Frage ging, was in einem Verein Vorrang hat: Jahrhundertealte Traditionen oder die Gleichberechtigung der Vereinsmitglieder? 

Nur Männer dürfen den Stadtbach ausfischen

Der Fall vor dem LG Memmingen betraf einen gemeinnützigen Verein, der das jährliche Ausfischen des Stadtbaches in Memmingen im Rahmen des sog. Fischertages organisierte. Er hat rund 5.000 Mitglieder, darunter 1.500 Frauen, und gliedert sich in verschiedene Untergruppen. Am Ausfischen des Stadtbaches selbst durften nur die Mitglieder der Gruppe der Stadtbachfischer teilnehmen. Laut der Satzung konnten jedoch nur männliche Vereinsmitglieder, die seit mindestens fünf Jahren in Memmingen gelebt haben, Mitglied dieser Gruppe werden. Eine Altersgrenze gab es nicht, sodass theoretisch auch Jungen am Ausfischen teilnehmen durften. Den weiblichen Vereinsmitgliedern war der Zugang zu dieser Gruppe verwehrt. Der Grund: Die jahrhundertealte Tradition müsse bewahrt werden.

Weibliches Mitglied wehrt sich gegen die Tradition

Mit dieser Begründung war ein weibliches Vereinsmitglied, das sich bereits seit mehr als 30 Jahren im Verein engagierte, nicht einverstanden. Nachdem sie mehrfach erfolglos versucht hatte, eine Satzungsänderung zugunsten der weiblichen Vereinsmitglieder zu erreichen, reichte sie Klage beim AG Memmingen ein. Das Gericht gab ihr Recht und ordnete an, dass der Verein sie in die Gruppe der Stadtfischer aufnehmen müsse. Es gebe, so das Gericht, keinen sachlichen Grund, der ihre Ungleichbehandlung gegenüber den männlichen Vereinsmitgliedern rechtfertige. 

Niederlage für den Verein vor dem LG Memmingen

Diese Entscheidung wollte der Verein nicht akzeptieren und legte Berufung vor dem Landgericht Memmingen ein. Doch auch hier blieb der Verein ohne Erfolg: Denn das Gericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Seine Begründung: Die jahrhundertealte Tradition des Stadtbachausfischens werde nicht verletzt, wenn auch weibliche Vereinsmitglieder daran teilnehmen. Denn der Kern der Tradition sei nur das Ausfischen des Stadtbaches als solches und nicht die Erinnerung an veraltete Geschlechterrollen. 

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Zudem habe der Verein die „Tradition“ über die Jahre hinweg ohnehin aufgeweicht, sodass heutzutage der Spaßfaktor eine ebenso große Rolle spiele. So habe der Verein etwa die Zugangsvoraussetzungen zur Teilnahme für die männlichen Mitglieder herabgesetzt: Für die Teilnahme am Ausfischen reicht es mittlerweile aus, wenn diese lediglich seit mindestens fünf Jahren in Memmingen leben, während früher mindestens zehn Jahre notwendig waren. Zudem behalten die Stadtfischer das Recht zum Ausfischen, auch wenn sie später aus der Stadt wegziehen sollten. Ferner müssen sie am Fischertag keine traditionelle historische Kleidung mehr tragen. Bei einer Gesamtwürdigung dieser Umstände sei somit kein sachlicher Grund erkennbar, der den Ausschluss der weiblichen Vereinsmitglieder vom Ausfischen des Stadtbaches rechtfertigen würde, so das Gericht. Der Verein müsse daher auch die weiblichen Mitglieder in die Gruppe der Stadtfischer aufnehmen. 

Ungleichbehandlung nur durch sachlichen Grund gerechtfertigt

Wir halten die Entscheidung des Gerichts für richtig. Eine Ungleichbehandlung von Vereinsmitgliedern ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein sachlicher Grund hierfür vorliegt. Das ist beispielsweise bei Männergesangsvereinen aufgrund der im Männer-Chor vertretenen Stimmlagen der Fall. 

Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei sachgrundloser Ungleichbehandlung

Zu beachten ist, dass das Gericht den Fall aus einer rein vereinsrechtlichen Perspektive bewertet hat. Doch auch von der steuerlichen Seite betrachtet ist dieser Fall höchst relevant: So hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2017 entschieden, dass eine sachgrundlose Ungleichbehandlung der Geschlechter – wie hier aus Traditionsgründen – zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führt. Betroffenen Vereinen droht daher nicht nur Gegenwind von ihren eigenen Mitgliedern, sondern auch seitens des Finanzamts. In solchen Fällen hilft daher nur die Änderung der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung, um interne Konflikte zwischen den Vereinsmitgliedern sowie finanzielle Nachteile aufgrund der Aberkennung der Gemeinnützigkeit zu vermeiden.

LG Memmingen, Urteil vom 28.07.2021 – 13 S 1372/20

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Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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