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Gleichberechtigung im Verein: Frauen dürfen mitfischen

Gleichberechtigung im Verein: Frauen dürfen mitfischenBereits seit dem Mittelalter findet jährlich im Juli in der bayrischen Stadt Memmingen ein großes Spektakel statt: Das Ausfischen des Stadtbaches im Rahmen des sog. Fischertags. Jahrhundertelang durften jedoch nur Männer daran teilnehmen. Mit seinem Urteil vom 31.08.2020 hat das Amtsgericht (AG) Memmingen nun entschieden, dass auch Frauen am jährlichen Ausfischen des Stadtbaches teilnehmen dürfen. Die Diskriminierung von Frauen aufgrund einer jahrhundertelangen männlichen Tradition sei nicht gerechtfertigt, so das Gericht.

Nur Männer dürfen fischen

Der Fall vor dem AG Memmingen betraf einen gemeinnützigen Verein, der das jährliche Ausfischen des Stadtbaches im Rahmen des Fischertags organisierte. Er hat rund 5.000 Mitglieder, darunter 1.500 Frauen und gliedert sich in verschiedene Untergruppen. Am Aus-fischen des Stadtbaches selbst durften nur die Mitglieder der Gruppe der Stadtbachfischer teilnehmen. Gemäß der Satzung konnten jedoch nur männliche Vereinsmitglieder Mitglied dieser Gruppe werden und das auch nur dann, wenn sie seit mindestens fünf Jahren in Memmingen gelebt haben. Eine Altersgrenze gab es nicht, sodass theoretisch auch Jungen am Ausfischen teilnehmen durften. Frauen war der Zugang zu dieser Gruppe verwehrt. Der Grund: Die jahrhundertealte Tradition müsse bewahrt werden.

Weibliches Mitglied darf mitfischen

Mit dieser Begründung war ein weibliches Vereinsmitglied, das sich bereits seit mehr als 30 Jahren im Verein engagierte, nicht einverstanden. Nachdem sie mehrfach erfolglos versucht hatte, eine Satzungsänderung zugunsten der weiblichen Vereinsmitglieder zu erreichen, reichte sie Klage beim AG Memmingen ein. Das Gericht gab ihr Recht und ordnete an, dass der Verein sie in die Gruppe der Stadtfischer aufnehmen müsse. Der Grund: Es gebe keinen sachlichen Grund, der ihre Ungleichbehandlung gegenüber den männlichen Vereinsmitgliedern rechtfertige. Der Ausschluss von Frauen aus der Gruppe der Stadtfischer wäre nur gerechtfertigt, wenn es einen biologischen Grund dafür gäbe, z.B. eine erhöhte körperliche Leistungsfähigkeit erforderlich sei. Das sei hier jedoch nicht der Fall, da am Ausfischen des Stadtbaches sogar Jungen teilnehmen durften.

Tradition rechtfertigt keine Ungleichbehandlung

Auch die jahrhundertelange Tradition rechtfertige nicht die Ungleichbehandlung. Der Verein könne sich zwar auf seine Vereinsautonomie gemäß Art. 9 des Grundgesetzes (GG) berufen, dieses Grundrecht kollidiere jedoch mit dem Grundrecht des weiblichen Mitglieds auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 GG. Es müsse daher eine Interessensabwägung vorgenommen werden, die zugunsten der Klägerin ausfalle, so das Gericht.

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Zunächst sei es nicht ersichtlich, warum der Verein seine Tradition nicht pflegen könne, wenn auch Frauen am Ausfischen des Stadtbaches teilnehmen. Denn die weiblichen Vereinsmitglieder würden bereits jetzt vielfältige Rollen in der Traditionspflege des Vereins einnehmen. So dürfen die weiblichen Vereinsmitglieder etwa männliche Soldaten bei Aufführungen des Vereins darstellen. Warum Frauen einen Soldaten spielen dürfen, jedoch keinen Fischer, sei nicht nachvollziehbar. Ferner spielt heutzutage der Spaßfaktor eine ähnliche starke Rolle wie der Traditionsgedanke. Denn im Gegensatz zum Mittelalter sei das Ausfischen des Stadtbaches für dessen Reinigung nicht mehr notwendig.

Widersprüchliche Zugangsvoraussetzungen

Schließlich habe der Verein über die Jahre sowieso schrittweise die Zugangsvoraussetzungen für die Gruppe der Stadtfischer heruntergesetzt. Während früher nur gebürtige Memminger am Ausfischen teilnehmen durften, reicht es heutzutage aus, wenn man seit mindestens fünf Jahren in Memmingen gelebt hat. Im Gegensatz zu früher behalten die Stadtfischer zudem das Recht zum Ausfischen, auch wenn sie später aus der Stadt wegziehen sollten. Trotz dieser Lockerungen durfte die Klägerin jedoch weiterhin nicht am Ausfischen teilnehmen, obwohl sie bereits seit mehr als 30 Jahren Vereinsmitglied ist – ein offensichtlicher Widerspruch, den der Verein während des Verfahrens nicht ausräumen konnte.

Hinweis

Der Verein hat bereits Berufung gegen diese Entscheidung beim Landgericht (LG) Memmingen eingelegt (Az. 13 S 1372/20). Es bleibt daher abzuwarten, wie der Streit letztendlich ausgehen wird. Zu beachten ist, dass das Gericht den Fall rein aus vereinsrechtlicher, also zivilrechtlicher Perspektive bewertet hat. Doch auch von der steuerlichen Seite betrachtet ist dieser Fall höchst relevant: So hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2017 entschieden, dass eine sachgrundlose Ungleichbehandlung der Geschlechter – etwa aus Traditionsgründen – gemeinnützigkeitsschädlich ist. Betroffenen Vereinen droht daher nicht nur Gegenwind von ihren eigenen Mitgliedern, sondern auch seitens des Finanzamts. In solchen Fällen hilft daher nur die Änderung der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung, um interne Konflikte zwischen den Vereinsmitgliedern sowie finanzielle Nachteile aufgrund des Entzugs der Gemeinnützigkeit zu vermeiden.

AG Memmingen, Urteil v. 31.08.2020 – 21 C 952/19

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Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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