Neuerungen im Gemeinnützigkeitsrecht

Am 10.07.2024 wurde der Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes II 2024 veröffentlicht. Er bringt bedeutende Änderungen für das Gemeinnützigkeitsrecht mit sich. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten avisierten Änderungen:
Gesetzliche Klarstellung zur politischen Betätigung außerhalb der satzungsmäßigen Zwecke
In § 58 Nr. 11 AO soll ergänzt werden, dass es für gemeinnützige Körperschaften steuerlich unschädlich ist, „gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung zu nehmen“, auch wenn dies außerhalb ihrer Satzungszwecke liegt. Dies kodifiziert nahezu wortgleich die bereits im Anwendungserlass zur Abgabenordnung enthaltene Regelung, nur dass dort anstelle des Begriffs „gelegentlich“ der Ausdruck „vereinzelt“ verwendet wird (AEAO zu § 52 Nr. 16 am Ende). Die Auslegung des Begriffs „vereinzelt“ erfolgte bisher durch die jeweiligen Finanzämter. Der Gesetzentwurf enthält jedenfalls keine wesentliche Veränderung der Ausgangssituation durch die Ersetzung von „vereinzelt“ durch „gelegentlich“. Auch die Auslegung des Begriffs „gelegentlich“ bleibt weiterhin der Interpretation des Rechtsanwenders überlassen. In der Begründung zum Referentenentwurf wird ergänzend erläutert, dass „gelegentlich“ nicht bedeute, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu politischen Themen zu äußern. Die Äußerungen müssten aufgrund eines besonderen Anlasses erfolgen und der steuerbegünstigten Zweckverfolgung untergeordnet sein. Bei der Beurteilung sei eine Gesamtbetrachtung maßgeblich. Unter diesen Voraussetzungen könne es auch noch unschädlich sein, wenn es aufgrund eines besonderen Anlasses zu wiederholten Äußerungen über einen Zeitraum von mehreren Wochen kommt. Als Beispiele werden die Positionierung eines Sportvereins gegen Rassismus und der Aufruf eines Karnevals- oder Sportvereins zu Friedensdemonstrationen genannt.
Der Koalitionsvertrag enthält das Versprechen einer gesetzlichen Klarstellung, dass sich gemeinnützige Organisationen innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen und gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen können, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden – dem genügt der vorgelegte Entwurf allenfalls in kleinen Teilen.
Abschaffung der zeitnahen Mittelverwendung
Die bisher in § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO verankerte Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung soll komplett gestrichen werden. Als Folge davon sollen auch § 62 AO (Rücklagenbildung) und § 63 Abs. 4 AO entfallen. Dies stellt eine erhebliche Erleichterung für gemeinnützige Organisationen dar, da sie künftig flexibler über die Verwendung ihrer Mittel entscheiden könnten. Zudem entlastet es gemeinnützige Organisationen von der bisher bestehenden Verpflichtung, die Mittelverwendung durch Vorlage einer Mittelverwendungsrechnung beim Finanzamt nachzuweisen, und führt somit zu einem Abbau an Bürokratie. In der Entwurfsbegründung wird insoweit festgehalten, dass der Mitteleinsatz und die Erfüllung des satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecks bereits anhand der vorhandenen Aufzeichnungen geprüft werden könne (z.B. anhand des Tätigkeitsberichts).
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Gleichzeitig besteht das Risiko, dass die Zweckverwirklichung unter dem Wegfall der Mittelverwendungsfristen leidet, da Mittel nun in größerem Umfang auch zum Vermögensaufbau verwendet werden können. Dies widerspräche dem Grundgedanken der Gewährung der Steuerbegünstigung wegen der Förderung gemeinnütziger (mildtätiger oder kirchlicher) Zwecke. Durch das Ausschließlichkeitsgebot soll aber auch in Zukunft aus Sicht der Entwurfsverfasser ausreichend sichergestellt sein, dass Mittel nur angespart werden, ohne dass Satzungszwecke nachhaltig erfüllt werden.
Auswirkungen einer Streichung der Mittelverwendungsfristen
Die geplante Abschaffung der zeitnahen Mittelverwendung hätte weitreichende Folgen für gemeinnützige Organisationen:
- Flexibilität: Gemeinnützige Organisationen erhielten mehr Flexibilität bei der Verwendung ihrer Mittel, da der Druck zur zeitnahen Ausgabe entfiele. Insbesondere soll auch der Leistungsaustausch zwischen gemeinnützigen Körperschaften erleichtert werden – so führt eine Änderung der Sphärenzuordnung (z.B. bei (teilweiser) Vermietung eines mit zeitnah zu verwendenden Mitteln finanzierten Gebäudes (Wechsel vom ideellen Bereich in die Vermögensverwaltung)) künftig nicht mehr zum Wiederaufleben der Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung für die Mittel, die zur Herstellung des Gebäudes verwendet wurden.
- Langfristige Planung: Es würde die Möglichkeit eröffnet, Mittel für größere, langfristige Projekte anzusparen, ohne steuerliche Nachteile befürchten zu müssen.
- Verwaltungsvereinfachung: Der Wegfall der Nachweispflichten für die zeitnahe Mittelverwendung würde den Verwaltungsaufwand für gemeinnützige Organisationen reduzieren.
- Stärkung der finanziellen Stabilität: Die Streichung des § 62 AO würde die bisherigen Beschränkungen bei der Rücklagenbildung aufheben, was mehr finanzielle Stabilität ermöglichen könnte.
- Potenzielle Risiken: Die erhöhte Flexibilität könnte auch zu einer verzögerten Zweckverwirklichung führen, was dem Grundgedanken der Gemeinnützigkeit zuwiderlaufen könnte.
Verhältnis zum Entwurf des Jahressteuergesetzes I 2024
Während der Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz II die komplette Streichung des § 62 AO vorsieht, plant der Regierungsentwurf zum Jahressteuergesetz I 2024 eine Ergänzung des § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO um eine „ex ante“-Perspektive (Ergänzung „nach dem Stand der Planung zum Zeitpunkt der Rücklagenbildung“). Insbesondere aus diesem Grund bleibt das Verhältnis der beiden Entwürfe zueinander unscharf. Hier wird das weitere Gesetzgebungsverfahren sicherlich Klarheit schaffen.
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