Im Referendum vom 23.06.2016 entschied sich eine knappe Mehrheit der wahlberechtigten Briten für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Seitdem führen die britische Regierung und die Europäische Union erfolglos Austrittsverhandlungen, bei denen insbesondere handelsrechtliche Fragen im Vordergrund stehen.
Nach letztmaliger Verlängerung gilt jetzt der 31.10.2019 als offizielles Austrittsdatum. Dass die Vertragsparteien bis dahin ein Austrittsabkommen, geschweige denn eine Übergangsregelung erzielen können, ist angesichts der Wahl des neuen Premierministers Johnson, der als starker Befürworter eines harten Brexits gilt, zweifelhaft. Insofern wird der befürchtete „No-Deal-Brexit“, also ein Austritt Großbritanniens ohne Austrittsabkommen immer wahrscheinlicher. Britische und in der EU ansässige Unternehmen, die Wirtschaftsbeziehungen miteinander pflegen, sollten daher wissen, welche zollrechtlichen Folgen ein harter Brexit auslösen könnte.
Handel mit Großbritannien derzeit (noch) ohne bürokratischen Aufwand möglich
Der Zollverkehr ist innerhalb der EU einheitlich geregelt. Die maßgeblichen zollrechtlichen Vorschriften sind im Unionszollkodex (UZK) zu finden. Alle europäischen Mitgliedstaaten befinden sich in der sogenannten Zollunion. Die Zollunion garantiert die Warenverkehrsfreiheit, was bedeutet, dass es Mitgliedstaaten verboten ist, untereinander Zölle zu erheben. Dadurch haben im EU-Inland ansässige Unternehmen beim Handel untereinander keine Beschränkungen, Zölle oder zollähnlichen Abgaben zu befürchten. Als Unionswaren konnten Waren zwischen Großbritannien und der EU bisher ohne zollrechtliche Formalitäten befördert werden.
Handelsrechtlicher Status Großbritanniens nach dem Austritt
Im Falle eines harten Brexits entfällt mit dem Austritt für Großbritannien die rechtliche Bindung an das Gemeinschaftszollrecht der EU. Damit würde Großbritannien zunächst seinen Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren und aus zollrechtlicher Sicht den Status eines Drittlandes erhalten. Gegenüber Drittländern vertritt die EU einen einheitlichen Zolltarif. Es können Einfuhrverbote oder -beschränkungen greifen. Waren aus oder nach Großbritannien würden infolgedessen ihren Status als Unionsware verlieren und damit der zollrechtlichen Behandlung unterliegen.
Brexit-Folgen für die Ein- und Ausfuhr von Waren aus Großbritannien
Sobald Nichtunionswaren in die EU eingeführt oder endgültig in ein Drittland verbracht werden, unterfallen sie der zollamtlichen Überwachung, also der Kontrolle durch die Zollbehörden. Einführer und Ausführer haben dann zahlreiche zollrechtliche Vorschriften und Pflichten zu beachten. Dazu gehören:
- Beförderungspflicht (Beförderung ausschließlich auf den vorgeschriebenen Zollstraßen)
- Anmeldung der Waren bei der Eingangszollstelle mittels der summarischen Eingangsanmeldung (ESumA)
- Ggf. Einholung von Ausfuhr-/Einfuhrgenehmigungen
- Gestellung der Waren zur zollamtlichen Erfassung und Kontrolle
- Vorübergehende Aufbewahrung der Waren in einem Zolllager
- Abgabe einer Einfuhr-/Ausfuhranmeldung bei der zuständigen Zollstelle
Verlust der EU-Ursprungseigenschaft durch Brexit
Mit einem Austritt Großbritanniens verlören britische Waren nicht nur ihre Eigenschaft als Unionsware, sondern auch ihre Eigenschaft als Ursprungserzeugnis der EU. Die Präferenzursprungseigenschaft einer Ware ist relevant für mögliche Zollvergünstigungen bei der Einfuhr. Britische Waren würden im Falle eines Austritts nicht mehr unter das Präferenzabkommen fallen und somit bei der Einfuhr keine Zollermäßigungen erhalten. Stellen im EU-Inland ansässige Unternehmen Produkte unter Verwendung von Vormaterialien aus Großbritannien her, könnte dies ebenfalls Auswirkungen auf die EU-Ursprungseigenschaft des Endprodukts haben.
CE-Kennzeichnungen verlieren Gültigkeit
Auch auf den Bereich der Produktsicherheit würde sich ein harter Brexit auswirken. Hinsichtlich der CE-Kennzeichnungspflicht verlören Zertifikate von britischen Prüfinstituten über Nacht ihre Gültigkeit. Bei der Einfuhr von Produkten aus einem EU-Drittland gelten zudem strengere Anforderungen nach dem Produktsicherheitsgesetz.
Betroffene Unternehmen sollten vorbereitet sein
Sollte es tatsächlich zu einem harten Brexit kommen, stellen allein die zollrechtlichen Folgen die betroffenen Unternehmen vor eine organisatorische und wirtschaftliche Herausforderung. Die hier aufgeführten Folgen sind dabei keinesfalls als abschließend zu verstehen. Unternehmen, die in handelsrechtlichen Beziehungen zu Großbritannien stehen, sollten spätestens jetzt prüfen, ob ihr Unternehmen hinreichend auf einen harten Brexit vorbereitet ist. Gern sind unsere Anwälte für Zollrecht Ihnen dabei behilflich.
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