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Welche Änderungen bewirkt die EU-Erbrechtsverordnung?

Nov 22, 13 • ErbrechtKeine Kommentare

Im August 2015 tritt die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 in allen EU-Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich, in Kraft. Mit ihr wird das Erbrecht innerhalb der EU weiter vereinheitlicht. Wesentliche Änderungen betreffen das auf die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbare Recht, die gerichtliche Zuständigkeit und die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses.

Gewöhnlicher Aufenthaltsort entscheidet über anwendbares Recht

Bislang bestimmte deutsches Erbrecht, dass die Staatsangehörigkeit des Erblassers maßgeblich dafür sei, welches Recht auf den Erbfall Anwendung findet, wohingegen z. B. nach französischem, aber auch englischem oder schottischem Recht, zumindest für den beweglichen Nachlass,  das Recht des letzten Wohnsitzes entscheidend für die Frage des anwendbaren Rechts ist. Für das unbewegliche Vermögen gilt nach den Rechtsordnungen der vorgenannten Länder allerdings das Recht des Lageortes. Verstarb ein deutscher Staatsangehöriger in seiner Wahlheimat Frankreich, ohne über sein Vermögen testamentarisch verfügt zu haben, so wendeten deutsche Gerichte bei Streitigkeiten zwischen den Erben einheitlich deutsches Recht an, wohingegen französische Gerichte für bewegliches Vermögen und in Frankreich befindliches unbewegliches Vermögen französisches Recht, für Immobilienvermögen in Deutschland  deutsches Recht anwandten.

Nach Art. 21 der Verordnung unterliegt nunmehr die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies gilt auch für den Fall, dass dies zur Anwendung des Rechts eines Nicht-EU-Staates führt (Art. 20). Allerdings eröffnet Art. 22 die Möglichkeit, das Recht des Staates zu wählen, dem man angehört. Hat ein Erbfall nur Bezug zum Geltungsbereich der Verordnung, kann es zu einer Nachlassspaltung, wie sie oben dargestellt wurde, nicht mehr kommen. Verbrachte ein deutscher Erblasser seinen Lebensabend in der Provence, so ist auf den Erbfall französisches Recht anwendbar, soweit der Erblasser kein Testament hinterlässt, in dem er deutsches Recht für anwendbar erklärt.

… und die gerichtliche Zuständigkeit

Auch die gerichtliche Zuständigkeit ist nunmehr einheitlich geregelt: Vorbehaltlich einer Vereinbarung der betroffenen Parteien (Art. 5) sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat, so sind die Gerichte des Staates, dessen Angehöriger der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes war, zur Entscheidung in Erbsachen über den gesamten Nachlass berufen, wenn sich in diesem Staat Nachlassvermögen befindet (Art. 10 Abs. 1 Buchst. a). Falls diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, entscheiden die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, bevor er die EU verlassen hat; diese letzte Alternative greift allerdings dann nicht, wenn bei Anrufung des Gerichts die Änderung des Aufenthalts mehr als fünf Jahre zurückliegt (Art. 10 Abs. 1 Buchst. b). Ist eine Zuständigkeit hiernach nicht gegeben, so sind die Gerichte der Mitgliedstaaten, in denen sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen über dieses Nachlassvermögen zuständig (Art. 10 Abs. 2).

Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:

Beispiel 1: Der Erblasser ist Deutscher, der seit zehn Jahren in Indien lebt und Vermögen in Frankreich, Spanien und in Deutschland hat: Deutsche Gerichte sind zuständig.

Beispiel 2: Der Erblasser ist Deutscher, der vor vier Jahren seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Frankreich hatte, seither in Indien lebt und Vermögen in Frankreich und Spanien, nicht aber in Deutschland hat: Französische Gerichte sind zuständig.

Beispiel 3: Der Erblasser ist Deutscher, der seit zehn Jahren in Indien lebt und Vermögen in Frankreich und Spanien, nicht aber in Deutschland hat: Französische Gerichte sind zuständig nur im Hinblick auf Vermögen in Frankreich, spanische Gerichte nur im Hinblick auf Vermögen in Spanien.

Europäisches Nachlasszeugnis – Vereinfachung für Erben

Befand sich Nachlassvermögen in mehreren europäischen Ländern, musste der Erbe seine Erbenstellung bislang nach den jeweiligen nationalen Gesetzen nachweisen, um Ansprüche daran geltend machen zu können. In Kapitel VII der Verordnung (Artikel 62 bis 73) wird nun das „Europäische Nachlasszeugnis“ eingeführt, d. h. ein EU-einheitliches und ein EU-weit (s. o.) geltendes Dokument, das in Inhalt und Wirkung mit einem deutschen Erbschein vergleichbar ist. Seine Verwendung ist nicht verpflichtend, es können weiterhin nationale Erbscheine verwendet werden.

Einheitlicher Rahmen dank EU-Erbrechtsverordnung

Mit der Verordnung hat die EU einen einheitlichen Rahmen geschaffen, aus dem sich für die Mitgliedstaaten in ihrem Geltungsbereich klar ergibt, welches Recht auf einen Erbfall anwendbar ist und welche Gerichte zuständig sind. Für die Mehrheit der Fälle ist damit die Gefahr, dass die Gerichte mehrerer Staaten unter Anwendung mehrerer Rechtsordnungen sich mit einem Erbfall befassen, gebannt. Nicht vereinheitlicht wurde das materielle Erbrecht, wie z. B. Erbfolge, Erbunwürdigkeit, Pflichtteilsrecht etc. Diese Vielfalt in der Einheit muss allerdings kein Fehler sein.

Thomas Schwab

Rechtsanwalt Thomas Schwab ist für WINHELLER überwiegend im Bereich des allgemeinen Zivil- und Vertragsrechts, des Gesellschaftsrechts, des Handelsrechts, des Erbrechts und des internationalen Wirtschaftsrechts tätig.

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