Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hat in seiner Entscheidung vom 07.10.2020 den Deutschen Volleyball-Verband (DVV) zu einer Zahlung von 17.000 US-Dollar Schadensersatz an zwei seiner Beach-Volleyballerinnen verpflichtet, da der Verband das Duo seit April 2019 ungerechtfertigt nicht mehr bei internationalen Turnieren nominiert und damit benachteiligt hat. Das Urteil enthält interessante Ausführungen zur Zulässigkeit von Schiedsgerichtsklauseln sowie zur Autonomie von Sportverbänden, die jedoch rechtlich nicht haltbar sind.
Wie viele Teams dürfen an internationalen Wettbewerben teilnehmen?
Nach den Regeln des Internationalen Volleyballverbandes (FIVB) dürfen an jedem internationalen Turnier bis zu vier Teams pro Land teilnehmen. Die ersten drei Nominierungen sollen sich dabei aus Sicht des FIVB an die Bestplatzierten in der Weltrangliste richten, während der vierte Platz an den Gewinner eines nationalen Qualifikationsturniers gehen soll. Die finale Entscheidungsbefugnis über die Nominierung verbleibt jedoch beim nationalen Volleyballverband.
Verband bevorzugte National- und Perspektivteams
Grund für die Verhandlung vor dem LG Frankfurt war die neue Politik des DVV, ausschließlich seine festgesetzten National- und Perspektivteams bei internationalen Turnieren zu nominieren – unabhängig von den sportlichen Leistungen dieser Teams. Hierdurch solle die Teilnahme an einem nationalen Qualifikationsturnier vermieden und den Spielern damit auch der Erfolgsdruck auf nationaler Ebene genommen werden. Durch die sichere Nominierung sei zudem sichergestellt, dass die Teams eingespielter werden und an internationaler Turniererfahrung gewinnen. Denn am Ende sollten sich so viele Teams wie möglich für die Olympischen Spiele 2020 (wegen Corona verschoben auf 2021) in Tokio qualifizieren und dort Medaillen gewinnen.
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Beachvolleyball-Duo fühlte sich benachteiligt
Das Problem: Die beiden Beach-Volleyballerinnen waren laut der Weltrangliste stets besser als mindestens ein Nationalteam. Der DVV nominierte sie jedoch nur, sofern die Teilnahme der National- und Perspektivteams nicht gefährdet war. Das führte dazu, dass die beiden Sportlerinnen seit April 2019 nicht mehr zu internationalen Turnieren nominiert wurden und erst wieder im September 2020 an der Beachvolleyball-EM in Lettland teilnehmen durften – als Nachrückerinnen, weil ein Nationalteam vorher seine Teilnahme abgesagt hatte. Das Duo fühlte sich daher durch die Politik des Verbandes benachteiligt und reichte Klage beim LG Frankfurt ein. Denn die Teilnahme an diesen Turnieren stellt für die Sportlerinnen häufig die einzige Einnahmequelle durch den Gewinn von Preisgeldern dar. Sie machten daher als Schadensersatzsumme die entgangenen Mindestpreisgelder gegenüber ihrem Verband geltend.
Bevorzugung ist nicht gerechtfertigt
Das LG Frankfurt gab dem Duo Recht und verurteilte den DVV zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 17.000 US-Dollar. Aus Sicht des Gerichts sei die Bevorzugung der National- und Perspektivteams sachlich nicht gerechtfertigt. Aufgrund seiner Monopolstellung müsse der Verband die Teams nach sportlichen Leistungskriterien, wie etwa der Weltranglistenplatzierung oder dem Ergebnis bei nationalen Qualifikationsturnieren, bewerten und nominieren. Der Verband ignoriere jedoch alle sportlichen Kriterien bei seiner Entscheidung, welche Teams er bei internationalen Turnieren nominiert. Es liege daher eine Benachteiligung vor, die sachlich nicht gerechtfertigt sei.
Insbesondere habe der Verband nicht dargelegt, inwiefern ein fehlender Qualifikationsdruck aus wissenschaftlicher oder psychologischer Sicht dazu geeignet sein könnte, ein besseres Abschneiden der gesetzten Teams bei der Qualifikation für die Olympischen Spiele und bei den Olympischen Spielen selbst im Vergleich zu den Klägerinnen zu erreichen.
Unwirksame Schiedsvereinbarung
Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass sie überhaupt vom LG Frankfurt gefällt werden konnte. Denn die beiden Sportlerinnen hatten eine Schiedsvereinbarung unterzeichnet, die besagt, dass ein Schiedsgericht und damit kein staatliches Gericht bei Streitigkeiten zuständig ist. Eine Klage vor dem LG Frankfurt wäre daher an sich unzulässig gewesen.
Das Gericht hielt die Schiedsvereinbarung jedoch für unwirksam, da sie die Sportlerinnen unangemessen benachteilige: Das Schiedsgericht war nämlich aus drei Mitgliedern zusammensetzt. Ein Mitglied war von den Sportlern und eines vom Verband zu benennen, das dritte Mitglied vom Vorsitzenden des Verbandsgerichts des DVV. Diese Konstellation könne, so das LG Frankfurt, theoretisch dazu führen, dass zwei Personen als Schiedsrichter auftreten können, die an der aktuellen Nominierungspraxis des Verbandes mitgewirkt haben und diese befürworten. Der DVV hätte dann eine Mehrheit von zwei Schiedsrichtern, sodass das Gericht nicht unabhängig und unparteiisch sei. Ferner lege der DVV keine Anforderungen an die Qualifikation der Schiedsrichter fest. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) müssen die Schiedsrichter jedoch ausgebildete Volljuristen sein, um eine kritische Überprüfung aller rechtlichen Aspekte des Falles zu gewährleisten.
Automatische Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung
Nach Ansicht des Gerichts war die Schiedsvereinbarung außerdem deswegen unwirksam, weil sich die Sportlerinnen ihr nicht freiwillig unterworfen hatten. Das LG bezieht sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 02.10.2018. Demnach liegt eine unfreiwillige Unterwerfung vor, wenn Sportler ohne Unterzeichnung einer Schiedsvereinbarung ihren Beruf effektiv nicht mehr ausüben und damit ihren L-bensunterhalt nicht mehr bestreiten können. Der Grund: Durch die dominierende Stellung der Sportverbände sei der einzelne Sportler häufig gezwungen, die Bedingu-gen des Verbands anzuerkennen, um seinen Lebensu-terhalt weiterhin bestreiten zu können. Denn der Sportler erhalte nur Zugang zu sportlichen Wettkämpfen und damit Zugang zu Preisgeldern, wenn er die Bedingungen des Verbandes akzeptiere. Weigere er sich, einer Schiedsvereinbarung zuzustimmen, könne er seinen Sport nur noch als Amateursportler ausüben.
Das LG Frankfurt sah diese Voraussetzungen vorliegend als erfüllt an, da der DVV im Volleyballsport eine Monopolstellung in Deutschland einnimmt und die Sportler ohne Anerkennung der Schiedsvereinbarung an keinen sportlichen Wettbewerben mehr teilnehmen könnten.
Nominierungspraxis des DVV gerechtfertigt
Wir halten die Entscheidung des LG Frankfurt nur teilweise für richtig. Zunächst ist es richtig, dass die Schiedsvereinbarung unwirksam war – allerdings nicht, weil sich die Sportlerinnen ihr nicht freiwillig unterworfen hätten. Zwar hat der EGMR in seinem Urteil vom 02.10.2018 entschieden, dass eine Schiedsvereinbarung grundsätzlich unwirksam ist, wenn sie der Sportler nicht freiwillig unterzeichnet hat. Allerdings hat der EGMR auch entschieden, dass die Schiedsvereinbarung ihre Wirksamkeit behält, wenn dennoch sichergestellt ist, dass das Schiedsgericht unabhängig und unparteiisch sei. Nur an der falschen, d.h. nicht unabhängigen, unparteiischen und rechtskundigen Besetzung des Schiedsgerichts, scheitert die Schiedsvereinbarung. Dass die Klage vor die staatlichen Gerichte gebracht werden konnte, ist somit richtig.
Für falsch wiederum halten wir, dass die bevorzugte Behandlung der National- und Perspektivteams sachlich ungerechtfertigt sei. Gerade im Hinblick auf die Perspektivteams ist es geboten, dass der Verband langfristig denkt und nicht nur auf die aktuellen sportlichen Leistungen der Teams schaut, sondern auch deren sportliches Potenzial bewertet und insbesondere fördert. Eine angemessene Förderung ist nur möglich, wenn sich die jungen Talente auch auf internationalem Parkett beweisen dürfen und dort Turniererfahrung sammeln können. Wir halten die Nominierungspraxis des DVV daher aus sportpolitischer Sicht für gerechtfertigt und lehnen die Auffassung des LG Frankfurt als unzulässigen Eingriff in die Verbandsautonomie ab.
Hohen Anforderungen an eine Schiedsvereinbarung
Das LG Frankfurt setzt mit seiner Argumentation die Voraussetzungen für eine unwirksame Schiedsvereinbarung herab. Eine Schiedsvereinbarung ist danach bereits dann unwirksam, wenn der Sportler sie nicht freiwillig unterzeichnet hat. Dies könnte zu einer Vielzahl von Verfahren vor staatlichen Gerichten führen, da der DVV nicht der einzige Sportverband in Deutschland mit einer Monopolstellung ist. Es ist daher erfreulich, dass der DVV Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eingelegt hat. Wir erwarten, dass das OLG die Nominierungspraxis des DVV als sachlich gerechtfertigt einstufen wird. Im Ergebnis wird das Gericht auch die Unwirksamkeit der Schiedsklausel feststellen, jedoch die Schiedsvereinbarung entgegen der Ansicht des LG nicht bereits an der unfreiwilligen Unterwerfung scheitern lassen.
Dieses Verfahren zeigt, welche hohen Anforderungen an eine Schiedsvereinbarung zu stellen sind. Sportverbände sollten ihre Schiedsvereinbarungen daher von einem Fachanwalt für Sportrecht überprüfen lassen, um Verhandlungen vor staatlichen Gerichten zu vermeiden.
LG Frankfurt am Main, Urteil v. 07.10.2020 – 2-06 O 457/19
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