Die Umsätze ambulanter Pflegedienste können auf Grundlage der europäischen Mehrwertsteuersystem-Richtlinie selbst dann von der Umsatzsteuer befreit sein, wenn die Anerkennung des sozialen Charakters einer Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen an der in § 4 Nr. 16 e UStG a.F. normierten Pflicht, diesbezüglich auf das vorangegangene Jahr abzustellen, scheitert. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 19.03.2013 entschieden. Er reagiert damit auf ein entsprechendes Urteil des EuGH vom 15.11.2012 (Rs. C-174/11 Zimmermann), das auf die Vorlagefrage des BFH hin gefällt worden war.
Der vormals gültige § 4 Nr. 16 e UStG machte die Umsatzsteuerbefreiung für ambulante Pflegedienste von der Bedingung abhängig, dass die Kosten dieser Pflege im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen wurden. Im zu entscheidenden Fall scheiterte der Steuerpflichtige daran, dass er nicht nachweisen konnte, dass er die 2/3-Grenze im „vorangegangenen Kalenderjahr“ erreicht hatte. Er hatte die 2/3-Schwelle allerdings ab dem 3. Quartal des Vorjahres überschritten. Der EuGH ließ das mit Blick auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g genügen. Der BFH folgt dem nun in seiner aktuellen Entscheidung.
Auf den ersten Blick betrifft das Urteil eine alte Rechtslage. Dennoch könnte das Urteil wegweisend für andere Befreiungsvorschriften im UStG sein: § 4 Nr. 16 k UStG und § 16 Nr. 25 b bb UStG enthalten nämlich vergleichbare Regelungen; auch sie verweisen auf das „vorangegangene Kalenderjahr“. Im Lichte der MwStSystemRL und der aktuellen Rechtsprechung könnten sich daher auch diese Vorschriften bald als europarechtswidrig erweisen. Es zeigt sich wieder einmal eins: Nicht Berlin, sondern Luxemburg und Brüssel halten die Regelungszügel für die Mehrwertsteuer in der Hand.
Hinweis: Mit dem Jahressteuergesetz 2009 ist § 4 Nr. 16 UStG neu gefasst worden. Steuerbefreiungen knüpfen nun vielfach an Voraussetzungen aus dem Sozialrecht an. Der neu gefasste § 4 Nr. 16 k UStG entspricht aber weiter im Wesentlichen dem gerügten § 4 Nr. 16 e UStG alter Fassung.
BFH, Urteil vom 19.03.2013, Az. XI R 47/07.