Die Positionierung gemeinnütziger Organisationen in politischen Belangen ist ein umstrittenes Thema, das insbesondere in Zeiten des Wahlkampfes heiß diskutiert wird. Dabei geraten insbesondere NPOs, die öffentliche Förderung erhalten, oft in einen Zwiespalt zwischen dem eigenen Wertgefüge, dem Recht auf Meinungsäußerung und den (vermeintlichen) fördermittelrechtlichen Verpflichtungen zur politischen Neutralität. Auch gemeinnützigkeitsrechtlich ist die Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen politischer Betätigung von NPOs ein Dauerbrenner.
Ein aktuelles Gutachten des renommierten Staats- und Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Friedhelm Hufen befasst sich mit der Bindung von zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, die öffentlich gefördert werden, an das parteipolitische Neutralitätsgebot.
Hintergrund: Neutralitätsgebot und Kritik an Sachsens Förderpraxis
Prof. Dr. Friedhelm Hufen hat am 14.08.2024 im Auftrag der Cellex Stiftung, unterstützt von der Freudenberg Stiftung, der Schöpflin Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung, ein Rechtsgutachten mit dem Titel „Zur Bedeutung des sogenannten Neutralitätsgebots für zivilgesellschaftliche Vereine der Demokratie- und Jugendarbeit – Unter besonderer Berücksichtigung der Ausführungen des Sächsischen Rechnungshofs in seinem Sonderbericht zur Richtlinie Integrative Maßnahmen (Förderbereich Teil 1)“ veröffentlicht.
Dies geschah vor dem Hintergrund eines Sonderberichts des sächsischen Landesrechnungshofs zur Umsetzung der Förderrichtlinie „Integrative Maßnahmen“. Die Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen in Sachsen zielte darauf ab, die Integration und Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Bei der Prüfung des Programms deckte der Landesrechnungshof Mängel auf. In dem Sonderbericht, der der Unterrichtung des Landtags und der Staatsregierung dienen sollte, attestiert der Landesrechnungshof dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt erhebliche Defizite beim Vollzug der Richtlinie und bemängelt wesentliche Problemlagen der aktuellen Förderpraxis des Freistaats, zu denen nach seiner Ansicht insbesondere die Verletzung der staatlichen Neutralitätsverpflichtung und ein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien durch fehlende Berücksichtigung der parteipolitischen Neutralität beim Einsatz der Fördermittel zählt. Bei einem Teil der Zuwendungsempfänger habe eine Trennung zwischen politischen Aktivitäten, Lobbyarbeit und Projektarbeit nur unzureichend stattgefunden.
Landesrechnungshof übersteigt seine Kompetenzen
Das Gutachten von Prof. Dr. Hufen stellt zunächst heraus, dass der sächsische Landesrechnungshof seine auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung begrenzte Prüfungskompetenz mit den Ausführungen zum Neutralitätsgebot und zur Chancengleichheit politischer Parteien überschritten habe.
Trotz öffentlicher Finanzierung keine starre Neutralitätspflicht
Der Landesrechnungshof verkenne in seinen Ausführungen, dass das Neutralitätsgebot nicht als starres Prinzip isoliert betrachtet werden könne. Vielmehr sei es im Lichte der ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Staatsaufgabe der Förderung der Demokratie, die nach dem Kanon des Grundgesetzes als streitbare Demokratie ausgestaltet sei, und der Grundrechtsstellung der geförderten zivilgesellschaftlichen Akteure zu sehen. Die Argumentation des Landesrechnungshofs gehe zudem irrig davon aus, dass wertbezogene Bildungs- und Demokratieförderung auch verfassungswidrige und dem Förderziel widersprechende Positionen einbeziehen müsse.
Aus der Tatsache, dass NPOs von einer staatlichen Förderung profitieren, ergebe sich nicht zugleich, dass die Äußerungen solcher Initiativen damit auch Äußerungen des Staats wären. Private Organisationen seien, auch wenn sie staatlich finanziert würden, kein staatliches Sprachrohr und daher auch nicht an eine Pflicht zur Neutralität oder an die Herstellung von Chancengleichheit für Parteien gebunden. Insoweit obliege es dem staatlichen Fördermittelgeber allenfalls, die Aktivitäten der privaten Organisation ähnlich einer Rechtskontrolle zu überwachen und die Einhaltung von Grenzen wie die Chancengleichheit vor Wahlen, die Versammlungsfreiheit und die Schranken des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu gewährleisten.
Möchten Sie Neuigkeiten wie diese monatlich in Ihr Postfach erhalten? Abonnieren Sie hier unseren Newsletter Nonprofitrecht aktuell.
Geförderte NPOs könnten jedoch nicht gezwungen werden, im Rahmen von Veranstaltungen politische Parteien und deren Unterorganisationen sowie Sympathisanten einzubeziehen, die nicht vom Zweck der Veranstaltung erfasst sind. Eine Ausnahme dafür soll lediglich dann gelten, wenn es z.B. abstrakt um die Vorstellung und Programme „aller Parteien“ geht. In diesem Rahmen sei allen nicht verbotenen Parteien Gehör zu gewähren.
Kritischer Umgang mit Parteien auf sachlicher Ebene
Im Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Parteien dürften deren Programm und Politik auch durch öffentlich geförderte NPOs kritisiert sowie deren Mitglieder oder auch führende Funktionäre benannt werden, ohne dass dies ein fördermittelrechtlicher Verstoß sei.
Überdies dürfe die Bildungsarbeit geförderter freier Träger Gefahren für die Menschenwürde, für die freiheitliche demokratische Grundordnung, für die Grundrechte und für Staatsziele wie den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und die europäische Einigung auch und gerade dann abwehren, wenn diese Gefahren von Programmen politischer Parteien ausgehen.
Gutachten bietet öffentlich geförderten NPOs wertvolle Hinweise
Das Gutachten bietet NPOs, die öffentliche Förderung erhalten, wichtige Hinweise zum Umgang, zur Reichweite und zu Grenzen des Neutralitätsgebots. Es definiert die politische Bildungsarbeit von NPOs als wichtigen Teil der demokratischen Willensbildung und misst ihr damit erhebliche Bedeutung zu. Inwieweit die Ausführungen des Gutachtens umfassende politische Anerkennung finden und auch durch die Finanzverwaltung und -gerichtsbarkeit Berücksichtigung finden, bleibt dennoch abzuwarten.
Gerne beraten wir Ihre NPO zu ihren politischen Aktivitäten, um ihre Gemeinnützigkeit zu erhalten.
Weiterlesen:
Politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen – Neues Gesetz soll Klarheit bringen