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Mit Verleihung des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann die Existenz des ursprünglichen Vereins beendet werden

Nicht nur die großen Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, auch kleinere religiöse Gemeinschaften können diesen Status verliehen bekommen: Freikirchliche Gemeinden, Bahai, die Zeugen Jehovas und viele andere Glaubensgemeinschaften sind mittlerweile als Körperschaften des öffentlichen Rechts in Deutschland anerkannt. Doch was passiert mit dem ursprünglichen Verein, der bisher der Glaubensgemeinschaft das Rechtsformkleid gab? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 15. März 2013 entschieden, dass eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangt hat, in ihrer Gründungsphase einen zu ihr gehörenden privatrechtlich organisierten Verein in die Körperschaft eingliedern und damit dessen eigenständige rechtliche Existenz beenden kann.

Sonderstatus Körperschaft des öffentlichen Rechts

Nach der im Urteil des BGH zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Mittel zu Erleichterung und zur Entfaltung der Religionsfreiheit. Er soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften stützen, so der BGH. Der besondere Status gibt den Körperschaften neben ihrer Organisationsgewalt auch das Recht, sich selbst Gesetze zu geben (Rechtsetzungsautonomie). Sie können außerdem öffentlich-rechtlich handeln und damit beispielsweise Beamte einstellen (Dienstherrenfähigkeit). Von ihren Mitgliedern können sie Steuern verlangen. Auch können sie unter anderem Vergünstigungen bei Steuern, Abgaben und Gebühren in Anspruch nehmen.

Parteifähig trotz fehlender Rechtsfähigkeit

Im Jahr 2006 verlieh das Land Berlin den Zeugen Jehovas die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Im vom BGH zu entscheidenden Fall ging es allerdings um Schadensersatzansprüche gegen die Zeugen Jehovas in der Form, wie sie noch vor 2006 organisiert waren: nämlich als privatrechtlich organisierter e.V. Das Problem: Der ursprüngliche Verein war mittlerweile aus dem Vereinsregister gelöscht worden und hatte damit keine Rechtsfähigkeit mehr. Außerdem war das Vereinsvermögen auf die Körperschaft des öffentlichen Rechts übertragen worden.

Keine Rechtsfähigkeit, kein Vermögen und nun eine Körperschaft des öffentlichen Rechts – man könnte meinen, ein solcher „aufgelöster Verein“ kann nicht mehr verklagt werden. Das sah der BGH anders. Zwar könne eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangt hat, die Existenz eines zu ihr gehörenden Vereins beenden, um die Körperschaft aufzubauen. Das folge aus ihrem Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG, 137 Abs. 3, Abs. 5 WRV, durch das sie ihre Angelegenheiten selbständig verwalten kann. In der Gründungsphase einer Körperschaft komme diesem Selbstbestimmungsrecht besonderes Gewicht zu, denn durch die Verleihung der Körperschaftsrechte hätten die Zeugen Jehovas erstmals die Möglichkeit erhalten, sich in Deutschland eine ihrem Selbstverständnis entsprechende Organisationsstruktur zu geben, heißt es in dem Urteil. Allerdings dürfe der Schutz der Religionsfreiheit nicht dazu führen, dass die Rechte der Gläubiger eines Vereins übermäßig vernachlässigt werden.

Güterabwägung zwischen Religionsfreiheit und Privatrecht

Zur Wahrung der Sicherheit des Rechtsverkehrs müsse eine wirksame Eingliederung des Vereins deshalb drei Voraussetzungen erfüllen:

  1. Erstens müsse die Eingliederung durch ein im Amtsblatt der Religionsgemeinschaft veröffentlichtes genaues und klares Gesetz der Körperschaft erfolgen. Ein Verwaltungsakt genüge nicht.
  2. Zweitens müsse eine Gesamtrechtsnachfolge angeordnet sein. Das Vermögen des Vereins muss also im Ganzen auf die Körperschaft übertragen werden und nicht nur teilweise.
  3. Drittens müsse der Verein der Religionsgemeinschaft angehören und sich deren Regelungsbefugnis unterworfen haben. Die neuen Rechtsverhältnisse sollten sich zudem klar aus dem Vereinsregister ergeben.

Die strengen Voraussetzungen, die der BGH mit dem Urteil aufgestellt hat, hatten die Zeugen Jehovas nicht erfüllt. Die Regelungen, die die Zeugen Jehovas erlassen hatten, seien, so der BGH, schon nicht hinreichend klar gewesen und auch eine Gesamtrechtsnachfolge ergebe sich daraus nicht deutlich genug. Die eigenständige rechtliche Existenz des ursprünglichen Vereins der Zeugen Jehovas war damit laut BGH noch nicht beendet, so dass er zulässigerweise auf Schadensersatz verklagt werden konnte.

Hinweis: Die Vorgaben des BGH sind erfreulich klar; an ihnen kann sich die Praxis orientieren. Die Vorgaben sind zwar streng, aber erfüllbar. Beachtet die Körperschaft des öffentlichen Rechts sie, ist der e.V. nicht länger existent. Mögliche Ansprüche müssen dann gegen die Körperschaft des öffentlichen Rechts geltend gemacht werden.

BGH, Urteil v. 15.03.2013, Az. V ZR 156/12.

Stefan Winheller

Rechtsanwalt Stefan Winheller ist seit rund 20 Jahren auf steuerrechtliche Fragen spezialisiert, v.a. in den Bereichen Krypto, Stiftungen/NPO und Internationales.

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