
Das Bundesverfassungsgericht hat die Zwangsvollstreckung zur Herausgabe eines Protokolls einer nicht öffentlichen Kirchengemeinderatssitzung vorläufig gestoppt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die schwierige Abwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ehemaliger Mitarbeitender. In diesem Beitrag erläutern wir die Hintergründe des Falls sowie die zentralen Erwägungen des Gerichts und geben Hinweise für die Praxis gemeinnütziger Träger.
Hintergrund: Protokollherausgabe im kirchlichen Arbeitsrecht
Dem Beschluss liegt ein arbeitsrechtlicher Streit zugrunde. Die Beschwerdeführerin, eine Kirchengemeinde, wurde durch Urteil des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet, einer ehemaligen Mitarbeiterin das Protokoll einer nicht öffentlichen Sitzung des Kirchengemeinderats aus dem Jahr 2006 auszuhändigen. In dieser Sitzung waren ausschließlich arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber der Klägerin Thema.
Nachdem sich die Kirchengemeinde geweigert hatte, das Protokoll herauszugeben, beantragte die Klägerin eine Durchsuchung der Gemeinderäume. Das Landgericht Stuttgart gab diesem Antrag schließlich statt und ordnete die Durchsuchung an. Die Kirchengemeinde legte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein und beantragte eine einstweilige Anordnung gegen die Zwangsvollstreckung, welche das Bundesverfassungsgericht antragsgemäß erließ.
Abwägung zwischen Selbstbestimmung und Datenschutz
Im Zentrum der Entscheidung steht das Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der ehemaligen Mitarbeiterin (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Die Kirchengemeinde argumentierte, dass das Bundesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt habe.
Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass die Klärung dieser komplexen Grundrechtsabwägung nicht im Eilverfahren erfolgen könne. Entscheidend war daher eine Folgenabwägung: Würde die Herausgabe und Durchsuchung jetzt erfolgen und die Verfassungsbeschwerde später Erfolg haben, wäre das Selbstbestimmungsrecht der Kirche möglicherweise irreparabel beeinträchtigt, da die ehemalige Mitarbeiterin unberechtigt Einsicht in vertrauliche Informationen erhielte. Umgekehrt würde eine vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung führen, ohne dass ein endgültiger Rechtsverlust droht. Da die Kirchengemeinde zugesichert hatte, das Protokoll im Fall einer Niederlage herauszugeben, überwogen die Gründe für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung.
Relevanz für die Praxis und rechtssicheres Vorgehen
Der Beschluss verdeutlicht den seit langem schwelenden Konflikt zwischen den zivilen Rechten kirchlicher Mitarbeiter und dem religiösen Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Für gemeinnützige Träger, insbesondere mit kirchlichem Hintergrund, ist es ratsam, bereits im Vorfeld klare Regelungen zum Umgang mit Protokollen und personenbezogenen Daten zu treffen.
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Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 15.05.2025, 2 BvR 211/25
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