Vorstände von Genossenschaften sind vielen Haftungsrisiken ausgesetzt und können im ungünstigsten Fall sogar unbeschränkt mit ihrem gesamten Privatvermögen gegenüber der Genossenschaft haften. Nach der sog. „Business-Judgement-Rule“ tritt die Haftung jedoch nicht ein, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung, die einen Schaden nach sich gezogen hat,
- auf Grundlage angemessener Informationen,
- ohne Berücksichtigung sachfremder Interessen,
- zum Wohle der Genossenschaft und
- in gutem Glauben
gehandelt hat. Was das konkret im Einzelfall bedeutet, zeigt beispielhaft eine aktuelle Entscheidung des Kammergerichts (KG) Berlin.
Teurer Grundstücksverkauf
Der Fall vor dem KG Berlin betraf zwei ehemalige Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft, die von ihr auf Schadensersatz verklagt wurden, da die beiden Vorstände einen für die Genossenschaft nachteiligen Vertrag abgeschlossen hätten. Der Vertrag kam ursprünglich zustande, da die Genossenschaft drei ihrer Grundstücke möglichst lukrativ verkaufen wollte. Um einen geeigneten Käufer für die Grundstücke zu finden, führte die Genossenschaft ein offenes Bieterverfahren durch. Am Ende erhielt allerdings eine GmbH den Zuschlag, obwohl sie nicht das höchste Gebot abgegeben hatte.
Der Grund: Mit dem Geschäftsführer und Alleingesellschafter der GmbH unterhielt einer der Vorstände eine geschäftliche Beziehung, da er von ihm zuvor ein Privatdarlehen erhalten hatte. Dieses Näheverhältnis führte neben dem Zuschlag für die GmbH im Bieterverfahren auch dazu, dass die Genossenschaft der GmbH im Kaufvertrag umfangreiche Garantien für das Vorliegen von zukünftigen Baugenehmigungen und Rücktrittsrechte zuerkannte, die später immense Kosten für die Genossenschaft verursachten. Die Genossenschaft berief die beiden Vorstände daraufhin ab und verklagte sie auf Zahlung von Schadensersatz vor dem Landgericht (LG) Berlin.
Vorstände müssen Schadensersatz zahlen
Obwohl die Klage vor dem LG Berlin zunächst aufgrund von Mängeln in der Beweisführung der Genossenschaft scheiterte, gab sich die Genossenschaft nicht geschlagen und legte Berufung beim KG Berlin ein. Mit Erfolg: Denn das KG Berlin gab der Genossenschaft Recht und verurteilte die beiden Vorstände auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 500.000 Euro. Nach der Feststellung des Gerichts hatten die beiden Vorstände zum Nachteil der Genossenschaft gehandelt, da sie zum einen der GmbH den Zuschlag für die Grundstücke gegeben hatten, obwohl es höhere Gebote gab, und zum anderen den für die Genossenschaft nachteiligen Kaufvertrag abgeschlossen hatten.
Voraussetzungen für Enthaftung nach der „Business Judgement Rule“ nicht gegeben
Das KG stellte insbesondere fest, dass die Voraussetzungen der „Business Judgement Rule“ nicht erfüllt seien, da die beiden Vorstände ihre Entscheidung auf Grundlage sachfremder Interessen und damit nicht zum Wohle der Gesellschaft getroffen hatten. Dafür sprach zum einen, dass sie nicht das wirtschaftlich lukrativste Angebot ausgewählt hatten, sondern das für die Genossenschaft finanziell weniger attraktive Angebot der GmbH. Die Vorstände seien jedoch dazu verpflichtet gewesen, die wirtschaftlichen Interessen der Genossenschaft zu wahren und somit die Grundstücke bestmöglich zu verkaufen.
Ferner belegten die nachteiligen Klauseln des Grundstückskaufvertrags, dass insbesondere einer der Vorstände, der eine geschäftliche Beziehung mit dem Geschäftsführer der GmbH pflegte, primär im Interesse der GmbH und nicht im Interesse der Genossenschaft handelte, da es nach den vertraglichen Regelungen allein die Pflicht der Genossenschaft war, alle für die Erteilung einer Baugenehmigung notwendigen Maßnahmen, wie z.B. Architektenplanung, Brandschutz oder Munitionsfreiheit des Grundstücks umzusetzen und zu bezahlen. Dadurch wurde die Genossenschaft einseitig benachteiligt, da sie keine angemessene Gegenleistung hierfür von der GmbH erhielt.
Enthaftung von Vorständen nur unter strengen Voraussetzungen möglich
Vorliegend handelt es sich zwar um ein Extrembeispiel, bei welchem die Voraussetzungen der „Business Judgement Rule“ offensichtlich nicht gegeben waren und dies mit hoher Wahrscheinlichkeit für beide Vorstände auch noch strafrechtliche Konsequenzen haben wird. Allerdings verdeutlicht die Entscheidung, dass eine Enthaftung nach der „Business Judgement Rule“ nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich ist.
WINHELLER berät bei Haftungsfragen
Eine umfassende Beratung hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen im Vorfeld einer zu treffenden unternehmerischen Entscheidung für Vorstände bzw. Geschäftsleiter ist daher ratsam. Unsere Experten Rechtsanwalt Dr. Constantin Goette und Rechtsanwalt Philipp Barring beraten Sie hierzu gerne. Kommen Sie jederzeit mit Ihren Fragen auf uns zu!
KG Berlin, Urteil v. 15.10.2020 – 12 U 49/18
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