Das Oberlandesgericht Köln (OLG) hat in einem aktuellen Urteil (vom 02.05.2024, 18 U 190/22) wichtige Grundsätze zur Haftung von GmbH-Geschäftsführern nach § 43 GmbH-Gesetz (GmbHG) konkretisiert. Der Fall betraf Schadensersatzansprüche einer GmbH gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer wegen Fehlbeständen bei Munition und Wurftauben in einem von der Gesellschaft betriebenen Schießstand.
Geschäftsführer muss Sorgfalt beweisen
Das OLG Köln bestätigte zunächst die ständige Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast bei Schadensersatzansprüchen gegen GmbH-Geschäftsführer: Die Gesellschaft muss nur darlegen und beweisen, dass und in welchem Umfang ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden ist. Der Geschäftsführer muss dann darlegen und beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist oder ihn kein Verschulden trifft.
Für Fehlbestände im Warenbestand konkretisierte das Gericht diese Grundsätze wie folgt: Die Gesellschaft muss nur die Abweichung zwischen Soll- und Ist-Bestand darlegen. Der Geschäftsführer muss dann die Verwendung und den Verbleib der fehlenden Waren im Einzelnen darlegen und beweisen. Wird der Fehlbestand nicht aufgeklärt, geht dies zulasten des für die Buchführung verantwortlichen Geschäftsführers.
Überwachungspflichten des Geschäftsführers
Das Urteil stellt auch die umfassenden Überwachungspflichten des Geschäftsführers hinsichtlich der ordnungsgemäßen Geschäftsführung und insbesondere der korrekten Buchführung heraus. Dieser kann sich nicht darauf berufen, Mitarbeitenden wären in unübersichtlichen Situationen nachvollziehbarerweise Flüchtigkeitsfehler unterlaufen.
Denn zu den Kernaufgaben des Geschäftsführers gehöre es, ein funktionierendes Kontrollsystem einzurichten und aufrechtzuerhalten, das Unregelmäßigkeiten und Fehlbestände frühzeitig aufdeckt. Das Unterlassen der Kontrollmaßnahmen stelle eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers dar.
Anwendung der Grundsätze im konkreten Fall
Im vorliegenden Fall konnte der beklagte Ex-Geschäftsführer die Fehlbestände bei Wurftauben durch den beim Werfen entstehenden Bruch vollständig erklären und das OLG sah hierin keine haftungsbegründende Pflichtverletzung des Geschäftsführers. Die Fehlbestände bei der Munition konnte der Beklagte hingegen nicht hinreichend erklären. Seine pauschalen Verweise auf nicht dokumentierte Ersatzpatronen für Versager, Kontrollschüsse etc. genügten dem Gericht nicht. Es sah den Geschäftsführer in der Pflicht, solche Vorgänge zumindest stichprobenartig zu dokumentieren.
Kein Einverständnis der Gesellschafter
Die Pflichtverletzung des Geschäftsführers ist auch nicht durch Einverständnis des Alleingesellschafters entfallen. Ein solches kommt generell in Betracht, wenn die Gesellschafter selbst Kenntnis von Missständen hatten und nicht eingeschritten sind. Im vorliegenden Fall hat der Geschäftsführer behauptet, die Vorstandsmitglieder des Alleingesellschafters hätten die Verhältnisse vor Ort gekannt und geduldet. Zwar kann ein – gegebenenfalls stillschweigendes – Einverständnis aller Gesellschafter ebenso wie die Befolgung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses eine Pflichtverletzung (unter bestimmten Voraussetzungen) ausschließen. Ein derartiges Einverständnis ließ sich jedoch nicht feststellen. Hierfür wäre zumindest erforderlich gewesen, dass sich den Vorstandsmitgliedern des Alleingesellschafters aus eigener Wahrnehmung hätte aufdrängen müssen, dass das Risiko eines undokumentierten Abgangs von Warenbeständen besteht und dies geduldet worden wäre, was vorliegend nicht bewiesen werden konnte.
Erteilte Entlastung hilft Geschäftsführer im Fall nicht
Auch die dem Geschäftsführer erteilte Entlastung änderte vorliegend nach Ansicht des Gerichts nichts an der Durchsetzbarkeit von Schadenersatzansprüchen. Denn die Entlastung bezieht sich in der Regel nur auf bekannte Sachverhalte. Fehlbestände, die erst später entdeckt wurden, sind davon nicht erfasst. Zudem schließe eine Entlastung Schadensersatzansprüche der Gesellschaft nicht generell aus, insbesondere wenn der Geschäftsführer seine Pflichten grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt hat. Die Gesellschafter können trotz erteilter Entlastung Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn ihnen, wie vorliegend, bei der Entlastung nicht alle relevanten Informationen vorlagen.
Geschäftliche Vorgänge sorgfältig dokumentieren
Das Urteil verdeutlicht die hohen Anforderungen an Geschäftsführer bei der Aufklärung von Fehlbeständen und die Verteilung der Beweislast in Organhaftungsfällen. Es unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Dokumentation aller geschäftlichen Vorgänge, um im Streitfall den erforderlichen Entlastungsbeweis führen zu können.
Achtung: Verschärfung der Geschäftsführerhaftung bei gemeinnützigen Körperschaften!
Wäre die GmbH im vorliegenden Fall eine gemeinnützige GmbH (gGmbH) gewesen, hätten sich einige wichtige Verschärfungen ergeben. Bei einer gGmbH gelten grundsätzlich die gleichen gesellschaftsrechtlichen Regeln wie bei einer gewöhnlichen GmbH. Allerdings unterliegt eine gGmbH zusätzlich den strengen Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts. Dies führt zu einer verschärften Haftungssituation für den Geschäftsführer, insbesondere wenn durch sein Verhalten die Gemeinnützigkeit der Gesellschaft gefährdet oder gar aberkannt wird.
Die im Urteil festgestellten Mängel bei der Dokumentation von Warenbeständen und Abgängen wären bei einer gGmbH noch kritischer zu bewerten. Eine lückenlose und transparente Buchhaltung ist für gemeinnützige Organisationen von besonderer Bedeutung, da sie jederzeit nachweisen können müssen, dass ihre Mittel ausschließlich für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden.
Im vorliegenden Fall hätten die festgestellten Fehlbestände bei Munition und die mangelhafte Dokumentation nicht nur zu einer „normalen“ Geschäftsführerhaftung nach § 43 GmbHG führen können, sondern möglicherweise auch zu einem Verlust der Gemeinnützigkeit. Dies hätte dramatische Folgen sowohl für die Gesellschaft als auch für den Geschäftsführer persönlich gehabt. Bei Aberkennung der Gemeinnützigkeit droht, wenn es sich um anhaltende Verstöße handelt, eine rückwirkende Versteuerung für bis zu zehn Jahre. Die dadurch entstehenden Steuernachforderungen können schnell existenzbedrohend für die Gesellschaft werden. Zudem müssen oft erhaltene öffentliche Zuschüsse zurückgezahlt werden. All dies kann leicht zur Insolvenz der gGmbH führen. In einer solchen Situation wäre der Geschäftsführer einem erheblichen persönlichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Nicht nur das Finanzamt, sondern auch die Gesellschaft selbst wäre verpflichtet, (Schadensersatz-)Ansprüche gegen ihn geltend zu machen. Die Gesellschaft müsste dies sogar tun, um nicht erneut gegen gemeinnützigkeitsrechtliche Vorgaben zu verstoßen.
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