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Gemeinnützigkeit von Onlineplattformen

Mann unterzeichnet auf Tablet

BFH konkretisiert Gemeinnützigkeit für Plattformen wie openPetition und innn.it

Mit Urteil vom 12.12.2024 (V R 28/23) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit von Onlineplattformen zur Förderung des demokratischen Staatswesens präzisiert. Danach ist der Betrieb einer solchen Plattform nur dann gemeinnützig, wenn sie parteipolitisch neutral geführt wird und die behandelten Anliegen einen Bezug zur Ausübung staatlicher Gewalt aufweisen. Das Urteil setzt damit neue Maßstäbe für digitale Beteiligungsformate und grenzt förderfähige politische Teilhabe klar von nicht begünstigter Einflussnahme ab.

Verein unterhält Petitionsplattform

Ein eingetragener Verein betrieb eine Onlineplattform, auf der Nutzer Petitionen und Kampagnen zu verschiedenen gesellschaftspolitischen Themen einstellen und zur Abstimmung bringen konnten. Die Anliegen richteten sich sowohl an staatliche Stellen als auch an private Akteure. Der Verein unterstützte ausgewählte Initiativen aktiv und stellte Leitfäden sowie Schulungsmaterial bereit. Das Finanzamt versagte die Gemeinnützigkeit, da die tatsächliche Geschäftsführung nicht ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke fördere. Das Finanzgericht (FG) gab dem Verein zunächst recht, doch der BFH hob dieses Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.

Zentrale Erwägungen des BFH

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Auslegung des Begriffs der „allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens“ gem. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 Abgabenordnung (AO).

Der BFH stellt heraus, dass der Bedeutungsgehalt des demokratischen Staatswesens unter Berücksichtigung der Strukturprinzipien der bundesstaatlichen Verfassung in Art. 20 Grundgesetz (GG) zu ermitteln sei. Das Demokratieprinzip erfordere, dass die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung bestehe. Da die Staatsorgane durch den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes geschaffen würden, sei sicherzustellen, dass sich die Willensbildung des Volkes frei, offen und unreglementiert vollziehen könne.

Eine gemeinnützige Förderung des demokratischen Staatswesens liege folglich nur dann vor, wenn die Körperschaft neutral, offen und nicht parteiergreifend zur freien und unreglementierten politischen Willensbildung beitrage. Die bloße Unterstützung der Meinungsäußerung oder die Bereitstellung digitaler Infrastruktur genügt nicht, sofern diese nicht auf die Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung im Zusammenhang mit der Ausübung staatlicher Gewalt abzielt.

Bezug zur Ausübung staatlicher Gewalt

Die Förderung des demokratischen Staatswesens i.S.v. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO verlangt, dass die Plattform Anliegen fördert, die sich auf die Ausübung staatlicher Gewalt beziehen und grundsätzlich eine parlamentarische Befassung ermöglichen. Anliegen, die ausschließlich private Interessen betreffen (z.B. Mietverhältnisse oder Boykottaufrufe unter Privaten), erfüllen diese Voraussetzung nicht.

Parteipolitische Neutralität und geistige Offenheit gemeinnütziger Plattformen

Die Plattform muss neutral und ohne inhaltliche Wertung betrieben werden. Eine steuerlich begünstigte Förderung erfordert geistige Offenheit und darf nicht auf die Verbreitung bestimmter politischer Meinungen oder die Förderung eigener Auffassungen gerichtet sein. Auch eine selektive Förderung einzelner Kampagnen kann problematisch sein, wenn dadurch bestimmte Meinungen bevorzugt werde.

Nicht jede Förderung der Meinungsäußerung ist gemeinnützig

Die bloße Förderung der Ausübung von Grundrechten z.B. durch Ermöglichung der Meinungsäußerung oder Bereitstellung digitaler Infrastruktur genügt nicht. Entscheidend sei, dass die Tätigkeit auf die Förderung des offenen, freien und unreglementierten demokratischen Willensbildungsprozesses im Zusammenhang mit der Ausübung staatlicher Gewalt abziele.

Eine besondere Intensität der Tätigkeit sei hingegen nicht erforderlich – ausreichend sei die finale Ausrichtung der Handlungen der Körperschaft auf die Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks und die objektive Eignung zur Zweckverfolgung.

Abgrenzung zu Parteien und Einzelinteressen

Die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens fördere den offenen Prozess der politischen Willensbildung und sei abzugrenzen von der Einflussnahme auf die politische Willensbildung nach § 2 Abs. 1 Parteiengesetz (PartG) sowie der Einflussnahme auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung nach § 1 Abs. 2 PartG.

Finanzgericht muss nun erneut entscheiden

Der BFH hat die Rechtssache an das FG zurückverwiesen, um weitere Feststellungen zu treffen, insbesondere dazu, inwieweit der Verein sich durch die selektive Förderung einzelner Kampagnen bestimmte Meinungen zu eigen gemacht hat, was einer geistiger Offenheit der Betätigung widerspräche.

Demokratiefördernde NPOs sollten sich kritisch prüfen

Das Urteil schärft den Begriff des demokratischen Staatswesens und stellt den notwendigen Staatsbezug damit verbundener Zweckverwirklichungsmaßnahmen fest. Damit schafft der BFH jedenfalls Klarheit für alle Organisationen, die sich digital in den demokratischen Willensbildungsprozess einbringen wollen. Es reicht nach der Auffassung des BFH nicht aus, die Meinungsfreiheit und allgemein demokratische Beteiligungsformen zu fördern. Vielmehr müssen die Aktivitäten der Körperschaften, die satzungsmäßig das demokratische Staatswesen allgemein fördern, einen konkreten Bezug zur staatlichen Willensbildung aufweisen (und neutral sein).

Für Körperschaften, die diesen Zweck auch durch digitale Beteiligungsformate und Plattformen verfolgen, gilt es nun zu prüfen, ob sie diese Anforderungen erfüllen.

Sie haben Fragen zur Auslegung oder Umsetzung der BFH-Rechtsprechung?

Unser NPO-Team berät Sie gerne individuell zu allen Fragen rund um die Gemeinnützigkeit und digitale Beteiligungsformate. Kommen Sie gern mit Ihren Fragen auf uns zu!

Weiterlesen:
Politische Neutralität gemeinnütziger Organisationen: Zwischen demokratischer Mitwirkung und Missbrauchsverdacht

Rechtsberatung für politisch tätige NPOs

Eva Helfenstein

Rechtsanwältin Eva Helfenstein berät am Frankfurter Standort Stiftungen und andere Nonprofit-Organisationen in allen Angelegenheiten des Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrechts.

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