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Vereinsführung: Besonderer Vertreter kann Arbeitnehmer sein, wenn Vollmacht endet

mehrere Holzfiguren mit einer Chef-Figur

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat klargestellt: Ein besonderer Vertreter nach § 30 BGB kann als Arbeitnehmer gelten, sobald seine Vollmacht endet. Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Vereine, die solche Vertreter einsetzen – insbesondere bei Kündigungen und Ansprüchen wie Elternzeit.

Hintergrund des Falls: Elternzeit für eine Vereinsgeschäftsführerin

Im zugrunde liegenden Fall war die Klägerin als Geschäftsführerin eines gemeinnützigen Vereins tätig. Neben dem Anstellungsvertrag wurde ihr eine Vollmacht als besondere Vertreterin im Sinne des § 30 BGB erteilt. Nach Anstellungsvertrag und Vollmacht war die Geschäftsführerin zur umfassenden Vertretung des Vereins berechtigt und von § 181 BGB befreit. Nicht von der Befugnis nach § 30 BGB umfasst waren nach der Vollmacht insbesondere Grundstücksgeschäfte, Erwerb und Veräußerung von Unternehmen, Anschaffungen im Wert von über 10.000 Euro (Eigenmittel) sowie die Einstellung, Abmahnung, Entlassung oder Höhergruppierung von Mitarbeitenden ab einem Bruttolohn von 2.000 Euro/Monat. Ihr Anstellungsverhältnis umfasste eine Vollzeittätigkeit mit 40 Wochenstunden.

Nach der Geburt ihrer Tochter beantragte die Geschäftsführerin Elternzeit für ein Jahr. Der Vorstandsvorsitzende des Vereins lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass der Geschäftsführerin aufgrund ihrer Organstellung kein Anspruch auf Elternzeit zustehe. Kurz darauf kündigte der Verein das Anstellungsverhältnis ordentlich und widerrief die der Geschäftsführerin erteilte Vollmacht mit sofortiger Wirkung. Hiergegen klagte die Geschäftsführerin vor dem Arbeitsgericht.

Das ArbG Leipzig hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt. Das LAG Sachsen hat die Entscheidung abgeändert und den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt. Hiergegen wendet sich der beklagte Verein mit der Rechtsbeschwerde beim BAG. Der Verein argumentierte, sie sei als „besonderer Vertreter“ nach § 30 BGB keine Arbeitnehmerin, sodass die Arbeitsgerichte nicht zuständig seien.

Rechtliche Einordnung des besonderen Vertreters

Der besondere Vertreter im Sinne von § 30 BGB ist ein mit organschaftlicher Vertretungsmacht ausgestatteter Repräsentant des Vereins. Die Möglichkeit seiner Bestellung muss in der Satzung vorgeschrieben sein, ebenso wie der Umfang der ihm übertragenen Aufgaben.

Im Verhältnis zum Vorstand ist der besondere Vertreter als nachrangig zu betrachten und unterliegt regelmäßig dessen Weisungen. Seine Vertretungsmacht kann im Innenverhältnis beschränkt werden. Gerade diese Weisungsgebundenheit und Beschränkung der Vertretungsmacht waren im vorliegenden Fall entscheidend für die Beurteilung der arbeitsrechtlichen Stellung.

Arbeitnehmerähnliche Person

Nach Widerruf ihrer Vollmacht entfiel nach Auffassung des BAG die Sonderstellung der Geschäftsführerin als besondere Vertreterin und damit die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, nach der die zur Vertretung einer juristischen Person nach der Satzung berufenen Personen keine Arbeitnehmer im Sinne der Arbeitsgerichtsbarkeit sind (Aussagen zur materiellen Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschriften sind damit hingegen nicht getroffen).

Das BAG bestätigte zudem die Auffassung des Landesarbeitsgerichts Sachsen, dass die Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG einzustufen sei. Arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG sind Selbstständige, die als Arbeitnehmer gelten. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind – in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation – in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbstständigkeit. Außerdem muss die wirtschaftlich abhängige Person ihrer gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein. Dies sei bei der Geschäftsführerin gegeben. Damit sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.

Schlüsselargumente des BAG

  • Rechtswegentscheidung: Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG (kein Arbeitnehmerstatus für Organvertreter) gilt nur während der Amtszeit. Nach Widerruf der Vollmacht sind die Arbeitsgerichte zuständig.
  • Wirtschaftliche Abhängigkeit: Die Klägerin erhielt ein festes Gehalt und war auf diese Einkünfte existenziell angewiesen. Nebentätigkeiten waren aufgrund ihrer Vollzeitstelle (40 Stunden/Woche) nicht möglich.
  • Soziale Schutzbedürftigkeit ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls und der Verkehrsanschauung das Maß der Abhängigkeit einen solchen Grad erreicht, wie er im Allgemeinen nur in einem Arbeitsverhältnis vorkommt, und die geleisteten Dienste nach ihrer sozialen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind. Trotz ihrer Vertretungsmacht unterlag sie strikten Weisungen des Vorstands, was sich insbesondere in der Begrenzung ihrer Vollmacht zeigte.

Praktische Bedeutung für Vereine

Besondere Vertreter können unter bestimmten Voraussetzungen den vollen arbeitsrechtlichen Schutz genießen, einschließlich Kündigungsschutz, Anspruch auf Elternzeit und Schutz vor Diskriminierung.
Vereine müssen bei der Gestaltung von Geschäftsführerverträgen und Vollmachten die Abgrenzung zwischen arbeitnehmerähnlichen Personen und Organvertretern sorgfältig beachten, um unerwartete arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

Nach Erlöschen der Vollmacht eines besonderen Vertreters kann für Streitigkeiten aus dem Anstellungsverhältnis der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet sein, insbesondere wenn es sich um arbeitnehmerähnliche Personen handelt, also die wirtschaftliche Abhängigkeit und die soziale Schutzbedürftigkeit vorliegen.

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Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass die rechtliche Einordnung eines besonderen Vertreters nach § 30 BGB nicht pauschal erfolgen kann, sondern eine differenzierte Betrachtung erfordert. Entscheidend sind der Umfang der übertragenen Vertretungsmacht und die tatsächliche Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses.

Für Vereine und gemeinnützige Organisationen empfiehlt es sich, bei der Bestellung besonderer Vertreter folgende Aspekte zu beachten:

  • Klare Definition der Vertretungsmacht und der Weisungsgebundenheit im Anstellungsvertrag
  • Bewusstsein über die möglichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen bei starker Einschränkung der Vertretungsmacht
  • Sorgfältige Dokumentation der Organstellung in der Satzung und im Anstellungsvertrag

Durch eine präzise vertragliche Gestaltung können Vereine Rechtsunsicherheiten vermeiden und die Position des besonderen Vertreters entsprechend den Bedürfnissen der Organisation ausgestalten.

Umfassende Beratung für Ihren Verein zur neuen Rechtsprechung

Haben Sie in Ihrem Verein besondere Vertreter bestellt, und sind Sie unsicher, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen die neue BAG-Entscheidung für Sie hat? Fragen Sie sich, ob Ihre Vereinssatzung den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung entspricht? Benötigen Sie Unterstützung bei der rechtssicheren Gestaltung von Anstellungsverträgen mit besonderen Vertretern oder Geschäftsführern?

Die Expertinnen und Experten unseres NPO-Teams stehen Ihnen für die individuelle Beratung zu diesem Thema sowie zu weiteren Fragen rund um die Gemeinnützigkeit gerne zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die arbeitsrechtlichen Risiken zu minimieren und Ihr Vereinsmanagement auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen.

BAG, Beschluss v. 11.07.2024, 9 AZB 9/24

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Gemeinnütziger Verein – Gründung, Satzung, Besteuerung
Besonderer Vertreter im Verein: Pflichtendelegation und Haftung

Eva Helfenstein

Rechtsanwältin Eva Helfenstein berät am Frankfurter Standort Stiftungen und andere Nonprofit-Organisationen in allen Angelegenheiten des Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrechts.

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