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Zeitenwende für die Wohlfahrtsverbände – EuGH kassiert Umsatzsteuerfreiheit

Frühzeitig wiesen wir darauf hin (siehe HIER und HIER), was der EuGH jetzt auch aktuell feststellt: Die Umsatzsteuerbefreiung speziell für Wohlfahrtsverbände und deren Mitglieder verstößt gegen europäisches Recht. Die gewachsene, kulturhistorische Sonderstellung der Wohlfahrtsverbände muss der europäischen Forderung nach funktionaler Gleichheit aller Akteure weichen – auch bei den sozialen Dienstleistungen. Die umsatzsteuerliche Struktur der Wohlfahrtsverbände wird sich daher in Zukunft von Grund auf ändern. Gleichzeitig senkt der Gesetzgeber jedoch den Anteil der erforderlichen Kostenübernahme durch die Sozialkassen als Voraussetzung für die Umsatzsteuerfreiheit bei den Alten- und Pflegeeinrichtungen. Auch den notärztlichen Fahrdiensten wird von den Gerichten eine zweite Chance gegeben.

Ausgangslage

Ausgangspunkt war die Klage der privaten Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes, die die Umsatzsteuerfreiheit ihrer Leistungen begehrte. Dabei griff sie sowohl die damalige 67% (2/3) Kostenübernahmequote durch Sozialkassen als Voraussetzung für die Umsatzsteuerfreiheit von Alten-, Kranken- und Pflegeeinrichtungen an als auch die Umsatzsteuerbefreiung für Wohlfahrtsverbände, die bislang ohne Beachtung dieser Quote allein aufgrund ihres Status als Wohlfahrtsverband Umsatzsteuerfreiheit genießen. Insbesondere hinsichtlich des zweiten Aspektes gab der EuGH der Klägerin nun Recht. Nicht die Forderung nach einer Kostenübernahmequote durch die Sozialkassen als solche verstößt gegen die MwStSystRL, aber die Tatsache, dass an bestimmte Organisationsformen (die Wohlfahrtsverbände) nicht die gleiche Forderung gestellt wird.

Reaktion des Gesetzgebers und Auswirkungen bei den Wohlfahrtsverbänden

Die Reaktion des Gesetzgebers durch das aktuelle Jahressteuergesetz 2013 ist insoweit konsequent (vgl. oben). Die Umsatzsteuerbefreiung der Wohlfahrtsverbände wird durch den organisationsneutralen Begriff der „sozialen Einrichtung“ nach der MwStSystRL ersetzt. Eine solche finanziert sich nach der neuen gesetzlichen Definition weit überwiegend durch die Staatskasse, durch die Sozialkassen, über die Kirchen und/oder durch Spenden. Umsatzsteuerfreiheit im Bereich sozialer Dienstleistungen erlangen die Wohlfahrtsverbände außerdem nur noch dann, wenn sie sich konsequent auf „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen“ beschränken. Dies ist eine hohe Hürde. Eigenzahlungen der betreuten Personen – auch wenn diese hinter marktgängigen Preisen zurückbleiben – werden künftig also schädlich sein. Die Brücke schlägt der Gesetzgeber jedoch zumindest bei den Alten-, Kranken- und Pflegeeinrichtungen. Dort wird die weit überwiegende Finanzierung abseits des Marktes nicht gefordert. Vielmehr wird die Quote der sozialstaatlichen Kostenübernahme von 40% auf 25% gesenkt. Diese bereichsspezifische Ausnahme soll nach dem Willen des Gesetzgebers das Kerngeschäft der Wohlfahrtsverbände und ihrer Mitglieder weiter umsatzsteuerfrei halten.

Umsatzsteuerbefreiung bei Leistungen im Auftrag anderer: zweite Chance für die notärztliche Versorgung

Erstes Standbein der künftigen umsatzsteuerrechtlichen Aufstellung der Wohlfahrtsverbände ist damit die Fokussierung auf einzelne, bereichsspezifische Umsatzsteuerbefreiungen, wie beispielsweise bei den Alten- und Pflegeeinrichtungen. Inwieweit auch das zweite Standbein, die Befreiung als „soziale Einrichtung“, tragfähig ist, muss sich erst noch zeigen. Wohlfahrtsverbände werden nämlich häufig in „Dreiecksbeziehungen“ tätig. Sie verpflichten sich dem Staat oder Dritten gegenüber, Sozialdienstleistungen in deren Auftrag durchzuführen. Ein gutes Beispiel ist die notärztliche Versorgung (Leitstelle, Notfallwagen und Rettungshelfer) als Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen. Schließen solche Dreiecksbeziehungen die Umsatzsteuerfreiheit der Leistungen des Wohlfahrtverbandes aus (weil zwar den Betroffenen geholfen, rein formal aber an den Auftraggeber geleistet wird), läuft die neue Befreiungsvorschrift ins Leere.

Das FG Düsseldorf erweist den Verbänden insoweit einen Dienst und gibt dem BFH Gelegenheit, seine uneinheitliche Linie in diesem Bereich nochmals zu überdenken und so für Rechtssicherheit zu sorgen. Denn bisher liegt hier einiges im Argen: Der BFH hatte nämlich einerseits festgestellt, dass ein Leistungsangebot gegenüber Notärzten gerade nicht eng mit der Sozialfürsorge im Sinne des Europarechts verbunden sei, so z.B., wenn Medikamente und medizinisches Gerät an Ärzte für deren weiteren Gebrauch geliefert werden. Bei der Umsatzsteuerbefreiung für „betreutes Wohnen“ war es für die Richter andererseits nicht entscheidend, dass sich der Anbieter gegenüber dem Vermieter zur Erbringung der Pflegeleistungen verpflichtet hatte. Dieser Sachverhalt sei „nicht vergleichbar mit dem Fall, in dem […] einem Notarzt ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt [wird], damit dieser seine steuerbefreite Notarzttätigkeit ausüben kann“. Das lag auch auf der Linie der früheren Rechtsprechung. Und auch in der Folge störte sich der BFH (in Bezug auf Fahrdienste) nicht mehr an der Dreiecksbeziehung und gewährte die Umsatzsteuerbefreiung – allerdings gestützt auf das nationale Recht.

Diese Rechtsprechung nimmt das FG Düsseldorf nun auf. In seinem Urteil erklärt es die notärztlichen (Dreiecks-) Leistungen eines Wohlfahrtsverbandes an die Kassenärztliche Vereinigung für umsatzsteuerbefreit, und zwar sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht. Das Gericht widerspricht damit der ursprünglichen Haltung des BFH, die dieser freilich durch seine Folgeentscheidungen selbst in Frage gestellt hat. Jetzt ist die Revision unter Az. V R 13/12 anhängig. Es ist auf eine Antwort zu hoffen, die die Interessen der Wohlfahrtsverbände, aber auch den Willen des Gesetzgebers, berücksichtigt, der aktuell feststellt: „[Die neue Befreiung nach dem Europarecht] verlangt nicht zwingend, dass schuldrechtliche Beziehungen zwischen der hilfsbedürftigen Person und dem Leistenden bestehen, solange die Sozialfürsorge tatsächlich gegenüber der hilfsbedürftigen Person erfolgt“.

Hinweis: Die Wohlfahrtsverbände und ihre Mitglieder können sich noch bis zum 31.12.2012 auf die bisherige Begünstigung verlassen. Diese erfasst auch die Fahrdienste – je nach Ausgang des Verfahrens vor dem BFH auch die Notfallversorgung (angesichts der unklaren Rechtsprechung sind Bescheide unbedingt offen zu halten). Ab 01.01.2013 müssen dann sämtliche Angebote verstärkt auf die einzelnen tätigkeitsbezogenen Umsatzsteuerbefreiungen zurückgeführt werden. Bei Alten- und Pflegeeinrichtungen ergeben sich hier neue Spielräume, im Übrigen wird die Luft bei marktgängigen Leistungsangeboten aber dünner. Bei den sozialen Dienstleistungen im Auftrag Dritter könnte sich das aktuell anhängige Verfahren als entscheidende Weichenstellung erweisen.

EuGH, Urteil v. 15.11.2012, Rs. C-174/11.
FG Düsseldorf, Urteil v. 22.02.2012, Az. 5 K 3717/09 U.

Stefan Winheller

Rechtsanwalt Stefan Winheller ist seit rund 20 Jahren auf steuerrechtliche Fragen spezialisiert, v.a. in den Bereichen Krypto, Stiftungen/NPO und Internationales.

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