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Umsatzsteuervorschriften für den öffentlichen Sektor und gemeinnützige NPOs auf dem Prüfstand: EU-Konsultationsverfahren eröffnet

Die EU-Kommission hat am 14.10.2013 ein Konsultationsverfahren eingeleitet, mit dem sie die Optionen für eine mögliche Reform der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) ausloten will. Konkret geht es dabei um die MwSt-Vorschriften für öffentliche Einrichtungen und die Steuerbefreiungen für gemeinnützige Tätigkeiten. Ziel der Konsultation ist die Vorbereitung einer möglichen Rechtssetzungsinitiative der Kommission in diesem Bereich. Dazu will die Kommission fachlich fundierte Argumente von allen betroffenen Interessengruppen einholen. Denn das MwSt-System der EU soll „einfacher, effizienter und robuster“ werden.

Sowohl das MwSt-System für öffentliche Einrichtungen als auch die Steuerbefreiungen für „dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ haben „immer wieder Bedenken und Kritik hervorgerufen“, heißt es im Konsultationspapier. Vor allem die Ausnahmeregelungen, die bestimmte wirtschaftliche Lieferungen und Dienstleistungen öffentlicher Einrichtungen von der MwSt befreien, haben immer wieder zu Diskussionen geführt. Diese Vorschriften stammen aus den 1970er Jahren, als viele dieser Leistungen noch ausschließlich von öffentlichen Einrichtungen erfüllt wurden. Heute stelle sich die Frage, ob die Regelungen immer noch angemessen seien. Die zunehmende Privatisierung und Deregulierung von Tätigkeiten, die früher für den öffentlichen Sektor reserviert waren, habe nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren geführt. Auch die heute vermehrt anzutreffenden öffentlich-privaten Partnerschaften habe es in den 1970ern noch nicht gegeben.

Bereits 2010 waren die MwSt-Regelungen für den öffentlichen Sektor Gegenstand einer Konsultation gewesen. Daraufhin legte die Kommission im Dezember 2011 „die Überprüfung und mögliche Änderung der MwSt-Vorschriften für den öffentlichen Sektor“ als einen ihrer Arbeitsschwerpunkte für die kommenden Jahre fest. Gutachten, Sachverständigengespräche und Konferenzen folgten. Am aktuellen Konsultationsverfahren können sich nun alle interessierten Gruppen bis zum 14.02.2014 an dem Reformprozess beteiligen. Die Konsultation dient dazu, in Erfahrung zu bringen, ob Rechtsänderungen sinnvoll wären. Dies hat zwar noch keine unmittelbaren politischen und rechtlichen Auswirkungen. Allerdings hat die Kommission das Initiativrecht in der Gesetzgebung, sie kann also ein Gesetzgebungsverfahren in der EU einleiten.

Fünf Reformoptionen werden im Konsultationspapier zur Diskussion gestellt:

1. Option eins sieht eine Vollbesteuerung vor: Dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten und solche öffentlicher Einrichtungen wären dann grundsätzlich mehrwertsteuerpflichtig – allerdings unter der Voraussetzung, dass sie gegen Entgelt erbracht werden und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 der MwStSystRL darstellen. Ausgangsumsätze wären also nur dann steuerpflichtig, wenn dafür beispielsweise eine besondere Gebühr erhoben würde. Lieferungen und Leistungen, die durch allgemeine Subventionen oder ähnliche Mittel finanziert werden, wären von dieser Regelung hingegen nicht erfasst, ebenso wenig wie Lieferungen und Leistungen, die keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. „Eine noch ehrgeizigere Alternative“ zu dieser Option orientiert sich an dem System Neuseelands, das auch unentgeltlich erbrachte Tätigkeiten (z.B. solche, die mittels Subventionen finanziert werden) öffentlicher Einrichtungen als steuerpflichtig behandelt.

Aus wirtschaftlicher Sicht sei die Vollbesteuerung die beste Lösung, so die Kommission. Mit ihr würden die öffentlichen Einnahmen um bis zu 80 Mrd. Euro steigen. Mit diesen Einnahmen könnte der Mehrwertsteuersatz deutlich gesenkt werden. Allerdings sei diese Option nur schwer umzusetzen. Das gültige MwSt-System müsste hierfür umfangreich geändert werden, Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor könnten wegfallen, so die Kommission.

2. Option zwei sieht ein europaweites Vorsteuererstattungssystem auch in Fällen vor, in denen die Ausgangsumsätze nicht steuerbar (gemäß Art. 13 der MwStSystRL) oder aber steuerbefreit (gemäß der Art. 132-134 der MwStSystRL) sind. Bislang hätten 8 Mitgliedsstaaten entsprechende MwSt-Ausgleichssysteme; diese könnten künftig europaweit gelten. Mit der Schaffung eines solchen Systems würden allerdings erhebliche Kosten einhergehen – laut Kommissionspapier zwischen 132 und 134 Mrd. Euro.

3. Mit der dritten Option wird eine Streichung von Art. 13 der europäischen MwStSystRL vorgeschlagen, also derjenigen Vorschrift, die öffentliche Einrichtungen für ihre Leistungen im Rahmen der öffentlichen Gewalt von der Steuerpflicht befreit. Die Streichung könnte dazu führen, die Ungleichbehandlung öffentlicher und privater Einrichtungen zu beenden. Die Steuerbefreiungen zugunsten gemeinnütziger Tätigkeiten könnten hingegen beibehalten werden und wären lediglich zu überarbeiten. So könnten insbesondere die MwSt-Befreiungen für Post- oder Rundfunkdienstleistungen einer Prüfung unterzogen werden, heißt es in dem Konsultationspapier. Ergebnis dieses Modells wäre, dass die Steuerbefreiungen nur noch an das Wesen der Lieferung oder Dienstleistung anknüpften („dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“) und nicht mehr an die Art des Leistungserbringers (öffentlich-rechtlich oder privat).

4. Denkbar sei es laut Kommissionspapier auch, eine mögliche Reform auf diejenigen Sektoren zu beschränken, bei denen es eindeutig zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen kommt, bspw. im Gesundheitssektor. Diese vierte Option könnte solche Einrichtungen betreffen, deren Tätigkeiten gegenwärtig gemäß Art. 13 MwStSystRL nicht in den Anwendungsbereich der MwSt fallen oder deren Tätigkeiten nach Art. 132 MwStSystRL mehrwertsteuerbefreit sind. Option vier könnte also einzelne Befreiungstatbestände aufheben und so Wettbewerbsverzerrungen in bestimmten Sektoren abbauen, ohne dass das bestehende MwSt-System umfassend umgestaltet werden müsste.

5. Als fünfte Option schlägt die Kommission vor, die geltenden Vorschriften nur punktuell zu ändern. So könnte einerseits Art. 13 Abs. 2 der MwStSystRL gestrichen werden. Dieser Absatz räumt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit ein, bestimmte Einrichtungen des öffentlichen Rechts komplett von der Richtlinie auszunehmen. Würde dieser Absatz gestrichen, hätte das den Vorteil, dass die Mitgliedsstaaten wirtschaftliche Tätigkeiten nicht länger der Richtlinie entziehen könnten. Das treffe beispielsweise auf Krankenhäuser zu. Andererseits könnten statt dieser Maßnahme auch die Art. 132-134 der Richtlinie gestrafft werden: Unter anderem greift die Kommission dabei die Ideen aus Option drei auf und schlägt vor, dass die Steuerbefreiung nur noch vom Wesen der Lieferung oder Leistung abhängen sollte und nicht länger von der Art des Leistungserbringers. Ferner wäre es denkbar, Steuerpflichtigen die generelle Möglichkeit einzuräumen, für eine Besteuerung zu optieren, um so die Vorsteuern ziehen zu können. Auch ein Wahlrecht für die Mitgliedsstaaten sei denkbar: Die Mitgliedsstaaten könnten wählen, ob sie derzeit steuerbefreite gemeinnützige Tätigkeiten künftig der MwSt unterwerfen möchten.

Hinweis: Die breite Öffentlichkeit darf sich an dem Konsultationsverfahren beteiligen und damit – zumindest indirekt – Einfluss auf eine mögliche Reform der MwStSystRL nehmen: Unternehmen aller Art, nationale und europäische Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Steuerberater und Steuerfachleute, Wissenschaftler, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und auch Bürgerinnen und Bürger können sich bis zum 14.02.2014 an der Befragung beteiligen. Das Konsultationspapier samt Fragebogen können Sie durch Klick auf den unten stehenden Link herunterladen.

Konsultationspapier der Europäischen Kommission, GD TAXUD – „Überprüfung der bestehenden MwSt-Rechtsvorschriften zu öffentlichen Einrichtungen und Steuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“

Stefan Winheller

Rechtsanwalt Stefan Winheller ist seit rund 20 Jahren auf steuerrechtliche Fragen spezialisiert, v.a. in den Bereichen Krypto, Stiftungen/NPO und Internationales.

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