Seit dem 14.10.2020 ist klar: Eine regionale Industrie- und Handelskammer (IHK) muss aus dem Dachverband „Deutsche Industrie- und Handelskammertag“ (DIHK) austreten, wenn der Dachverband wiederholt seine Kompetenzen überschreitet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nach über zehnjährigem Rechtsstreit entschieden. Die Entscheidung wird auch für andere Kammern weitreichende Konsequenzen haben.
Austritt wegen Kompetenzüberschreitung
Ausgangspunkt der Entscheidung war die Klage eines Herstellers für Windräder, der Pflichtmitglied der IHK Nord Westfalen war. Er war der Ansicht, dass der DIHK sich nicht einseitig zu allgemeinpolitischen Themen, wie der Umwelt- und Klimapolitik äußern dürfe. Da die DIHK dies aber getan hatte, ging der Unternehmer von einer Kompetenzüberschreitung des Dachverbandes aus. Daraus folgerte er, dass ihm als Zwangsmitglied der regionalen IHK ein Anspruch auf Austritt dieser Kammer aus dem Dachverband zustünde.
Ein Rechtsstreit mit Vorgeschichte
Das war allerdings nicht der Beginn des Rechtsstreits. Er begann im Jahr 2007 und landete schon einmal vor dem BVerwG. In seiner Entscheidung vom 23.03.2016 (Az. 10 C 4/15) stellte das Gericht fest, dass dem Kläger ein Anspruch auf Austritt aus der DIHK zusteht, sofern es sich bei den Äußerungen des Dachverbandes nicht um Einzelfälle handele und daher die Gefahr einer Wiederholung bestehe.
Das OVG Münster, das anschließend das Vorliegen dieser vom BVerwG festgelegten Voraussetzungen prüfen sollte, verneinte den Anspruch letztendlich jedoch. Der Grund: Als Reaktion auf den Rechtsstreit hatte die DIHK ihren Mitgliedern in ihrer Satzung einen klagefähigen Unterlassungsanspruch für den Fall einer Kompetenzüberschreitung eingeräumt. Damit sei ein ausreichender Rechtsschutz für die Mitglieder gegeben, so das OVG Münster.
Damit war der Rechtsstreit aber noch nicht beendet. Vielmehr war es der Startschuss für die zweite, kürzlich entschiedene Runde vor dem BVerwG. Denn das BVerwG ging im Gegensatz zum OVG Münster vom Vorliegen der Voraussetzungen für einen Austritt aus. Die Richter begründeten diese Sichtweise damit, dass durch die Existenz des neuen Unterlassungsanspruchs noch kein effektiver Grundrechtsschutz gegeben sei. Denn hierdurch könne der Verband erst nachträglich in die Schranken gewiesen werden. Als effektive Schutzmaßnahme vor wiederholten kompetenzüberschreitenden Äußerungen bliebe somit nur der Austritt der Kammer aus dem Dachverband.
Gefahr wiederholter Kompetenzüberschreitung
Wir halten die Entscheidung des BVerwG für richtig. Denn das OVG Münster hat die vom BVerwG aufgestellten Kriterien falsch angewendet: Die Gefahr einer Wiederholung bleibt auch dann bestehen, wenn die Mitglieder im Nachhinein gegen eine bereits getätigte Äußerung vor Gericht ziehen können.
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Das Urteil des BVerwG zeigt, dass Kammern darauf achten sollten, dass ihr Dachverband seine Kompetenzen nicht überschreitet. Denn bei wiederholter Kompetenzüberschreitung riskieren sie eine Klage ihrer Mitgliedsunternehmen und damit ihren eigenen Zwangsaustritt aus dem Dachverband. Die Konsequenz ist der Verlust einer wichtigen Interessenvertretung. Umgekehrt sollten sich Dachverbände über die Grenzen ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Klaren sein. Aufpassen müssen aber nicht nur Industrie- und Handelskammern, sondern auch Ärzte- und Handwerkskammern sowie aus unserer Sicht auch private Verbände mit Monopolstellung. Denn unter gewissen Umständen sind letztere genau wie die Kammern zur Aufnahme von Mitgliedern verpflichtet.
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