Kurz vor Beginn des EM-Spiels zwischen Deutschland und Frankreich machte Greenpeace auf sich aufmerksam, als ein Aktivist der Organisation im Stadion die Kontrolle über seinen Motorschirm verlor und bei seiner darauffolgenden Notlandung mehrere Zuschauer verletzte. Greenpeace wurde für diese Aktion massiv kritisiert – mehrere namhafte Politiker wie z.B. Friedrich Merz forderten sogar den Entzug der Gemeinnützigkeit. Doch reicht diese Aktion tatsächlich für den Entzug der Gemeinnützigkeit aus?
Warum hat Greenpeace diese Aktion durchgeführt?
Mit der Aktion wollte Greenpeace gegen Volkswagen, einen der Sponsoren der EM, demonstrieren und ihn gleichzeitig dazu auffordern, endlich ein festes Enddatum für die Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor festzulegen. Hierzu sollte der Pilot ursprünglich einen Latexball mit der Aufschrift „Kick Out Oil“ in das Stadion abwerfen, der dann medienwirksam im Mittelkreis landen sollte. Auch auf dem Schirm selbst war diese Aufschrift abgedruckt. Geplant war die (Not-)Landung laut Greenpeace nicht: Sie wurde notwendig, als sich der Motorschirm in einem Stahlseil des Stadions verhedderte und daraufhin ins Trudeln geriet. Für die missglückte Aktion entschuldigte sich Greenpeace umgehend.
Welche Folgen hätte der Entzug der Gemeinnützigkeit für Greenpeace?
Nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit dürfte Greenpeace keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen, so dass Spenden an Greenpeace nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden könnten. Damit würde der Organisation ein erheblicher Rückgang an Spendeneinnahmen drohen. Dies könnte für Greenpeace existenzgefährdend sein, da sich der Verein laut seinem Jahresbericht 2019 zuletzt zu 99% durch Spenden und Förderbeiträge finanziert hat. Ferner würde Greenpeace im Jahr des Verstoßes, also für das Jahr 2021, so behandelt werden wie eine nicht gemeinnützige Körperschaft.
Droht Greenpeace tatsächlich der Entzug der
Gemeinnützigkeit?
Klar ist: Gemeinnützige Organisationen müssen mit ihrer Tätigkeit die Allgemeinheit fördern. Klar ist auch, dass Tätigkeiten, die wie hier gegen straf- und luftverkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen, nicht die Allgemeinheit fördern können. Das heißt jedoch nicht, dass die missglückte Protestaktion sofort zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Greenpeace führen muss. Denn die Gemeinnützigkeit von NPOs überprüft das Finanzamt im Rahmen der Veranlagung.
Hierzu müssen die NPOs neben anderen Unterlagen vor allem Tätigkeitsberichte einreichen, in denen sie ihre tatsächliche Geschäftsführung darstellen. § 63 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) verlangt dabei, dass die tatsächliche Geschäftsführung während des gesamten Veranlagungszeitraums den Vorschriften des Gemeinnützigkeitsrechts entspricht. Nach dem Wortlaut dieser Norm müsste Greenpeace also eigentlich die Gemeinnützigkeit für 2021 bei der nächsten Veranlagung versagt werden, da die tatsächliche Geschäftsführung von Greenpeace am Tag der Protestaktion nicht gemeinnützig war. Auch einfache – nicht speziell steuerrechtliche Verstöße – stellen einen Verstoß gegen die Rechtsordnung dar und können zum Entzug der Gemeinnützigkeit führen.
Es gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip
Ein derartiges Verständnis würde aber dazu führen, dass jeder noch so kleine Rechtsverstoß zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen würde – das kann nicht richtig sein. Es gilt daher das sog. Verhältnismäßigkeitsprinzip, wonach die Folgen des entsprechenden Verstoßes gegen die Folgen, die durch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit eintreten, abgewogen werden müssen. Mit anderen Worten: Der Verstoß muss so schwerwiegend sein, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit gerechtfertigt wäre. Wir sagen: Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit wäre im Falle von Greenpeace nicht gerechtfertigt.
Beim Zusammenstoß des Motorschirms mit den Zuschauern im Stadion handelt es sich um einen Unfall, der von Greenpeace weder geplant noch beabsichtigt gewesen ist, auch wenn die Aktion per se gefährlich war und nicht hätte erfolgen dürfen. Immerhin hat sich Greenpeace umgehend entschuldigt. Und unabhängig davon leistet Greenpeace mit seiner Arbeit unbestritten einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz und verfolgt nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Diese Gesamtabwägung zeigt: Greenpeace die Gemeinnützigkeit aufgrund einer einzigen (sehr) missglückten Protestaktion abzuerkennen wäre wohl nicht gerechtfertigt und daher unverhältnismäßig, auch wenn der luftverkehrsrechtliche Verstoß vorsätzlich begangen worden sein sollte.
Öffentlichkeitswirksame Protestaktionen von NPOs bewegen sich auf dünnem Eis
Die Kritik an Greenpeace verdeutlicht: NPOs, die durch öffentlichkeitswirksame Protestaktionen auf ihre Ziele aufmerksam machen, bewegen sich nicht nur strafrechtlich, sondern auch gemeinnützigkeitsrechtlich auf sehr dünnem Eis. Sie sollten ihre geplanten Protestaktionen daher unbedingt vorab von einem Experten für Gemeinnützigkeitsrecht auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorschriften der AO überprüfen lassen, um keinen Entzug der Gemeinnützigkeit – und damit langfristig ihre Finanzierung – zu riskieren.
Weiterlesen:
Rechtliche Beratung für Gemeinnützigkeitsrecht und NPOs
Attac vor Entzug der Gemeinnützigkeit: BFH schränkt politische Meinungsbildung durch NPOs ein