Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte kürzlich die Frage zu entscheiden, ob der Aufruf des Deutschen Tierschutzbüros e.V., die Volksbank Melle aufzufordern, die Vertragsbeziehung mit dem Zentralverband Deutscher Pelztierzüchter e.V. zu beenden, zulässig war. Wie in einem Ping-Pong-Spiel hatten die Gerichte zuvor die Frage unterschiedlich entschieden: Während das Landgericht (LG) Osnabrück den Aufruf für zulässig hielt, stufte das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg als Berufungsgericht den Boykottaufruf als rechtswidrig ein. Der BGH wiederum gab nun dem Deutschen Tierschutzbüro e.V. Recht und stärkt damit die Arbeit von Aktivistenorganisationen.
Boykottaufruf greift in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein
Der öffentliche Aufruf an die Volksbank Melle, die Vertragsbeziehung mit dem Zentralverband zu beenden, greift nach Ansicht des BGH zwar in das Persönlichkeitsrecht des Zentralverbandes ein. Es sei allgemein anerkannt, dass auch ein eingetragener Verein Persönlichkeitsschutz genießen könne. Dies sei insbesondere der Fall, wenn und soweit der Verein in seinem sozialen Geltungsanspruch betroffen ist. Dasselbe gelte für die Formulierung, dass „an dem Geld der Bank Blut klebt“ und der Verband „Nerzquäler“ sei. Auch der öffentliche Aufruf an die Bank, das Konto des Zentralverbandes zu kündigen, ziele auf den sozialen Geltungsanspruch des Zentralverbandes ab. Denn mit der Kontokündigung sollte die Volksbank zum Ausdruck bringen, dass der Zentralverband kein würdiger Geschäftspartner sei.
…aber die Meinungsfreiheit wiegt schwerer
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei jedoch nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des betroffenen Zentralverbandes die schutzwürdigen Belange des Tierschutzbüros überwiege, so der BGH. Dem sei aber nicht so. Der Boykottaufruf ging nicht auf wirtschaftliche Interessen des Tierschutzbüros zurück, sondern sei der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit geschuldet. Dient ein Boykottaufruf aber der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, genießt er grundsätzlich Vorrang, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden. Der Deutsche Tierschutzbüro e.V. setzte darüber hinaus auch keine verfassungsrechtlich nicht zu billigenden zusätzlichen Machtmittel ein. Der BGH konnte daher insgesamt kein Überwiegen der Belange des Zentralverbandes feststellen.
Arbeit von Aktivistenorganisationen gestärkt
Ein Boykottaufruf bewegt sich immer in dem Spannungsfeld Persönlichkeitsrecht einerseits und Meinungsfreiheit andererseits. Der Einzelfall entscheidet, welchem Recht Vorrang einzuräumen ist. Klargestellt hat der BGH jedoch, dass grundsätzlich die Meinungsfreiheit Vorrang genießt, wenn eigene wirtschaftliche Interessen des Boykottaufrufers nicht im Vordergrund stehen, sondern sein Handeln durch politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit geprägt ist.
Mit dieser Entscheidung stärkt der BGH die Arbeit von Aktivistenorganisationen erheblich, deren einziges Mittel im Kampf um Positionen häufig die Öffentlichkeitsarbeit und Meinungsbildung ist. Vor dem Aufruf zu einem Boykott sollte die Zulässigkeit des konkreten Vorhabens jedoch trotzdem sorgfältig geprüft werden, will sich die Organisation nicht unverhofft – wie im vorliegenden Fall – in einem jahrelangen Rechtstreit um die Zulässigkeit des Boykottaufrufs wiederfinden. Unsere erfahrenen Anwälte sind Ihnen gerne dabei behilflich.
BGH, Urteil vom 19.01.2016, Az. VI ZR 302/15
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