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Urteil zu AWO-Geschäftsführer: Die wichtigsten Rechtsfragen für NPOs zusammengefasst

Urteil zu AWO Frankfurt: Die wichtigsten Rechtsfragen für NPOs zusammengefasst

Die Vorgänge rund um die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Frankfurt waren ein Thema, dass bei gemeinnützigen Organisationen für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Nun wurde der ehemalige Geschäftsführer der AWO Frankfurt dazu verurteilt, seinem ehemaligen Arbeitgeber Schadenersatz in Höhe von ca. 1,8 Mio. Euro zu zahlen. Der Fall betrifft interessante Fragestellungen aus dem Gemeinnützigkeitsrecht, den Maßgaben der Organhaftung, der Compliance sowie dem Arbeitsrecht.

1. Gemeinnützigkeitsrecht

Vorwürfe der Finanzverwaltung gegenüber der AWO Frankfurt

Den AWO-Kreisverbänden Frankfurt und Wiesbaden wurde seitens der Finanzbehörden vorgeworfen, ihren Funktionären überhöhte Gehälter gezahlt und teure Dienstwagen zur Verfügung gestellt zu haben. Außerdem sollen teure Dienstreisen mit Übernachtung in Luxushotels bezahlt worden sein. Unangemessen hohe Vergütungen sind als Fehlverwendung von Mitteln zu bewerten, was zum Entzug des Gemeinnützigkeitsstatus führen kann. Ob eine Vergütung unangemessen hoch ist oder nicht, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls mittels Fremdvergleichs zu bewerten. Eine pauschale Beurteilung dessen ist nicht möglich.

Auch sollen satzungswidrige Zuwendungen i.H.v. rund 935.000 Euro vom AWO-Kreisverband Frankfurt an den AWO-Kreisverband Wiesbaden geflossen sein. Gemeinnützigkeitsrechtlich ist darin ein Verstoß des Gebots der ausschließlichen Verwendung von Mittel für die satzungsmäßigen Zwecke zu sehen.

Verlust der Gemeinnützigkeit und Folgen

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit hat eine steuerliche Behandlung ohne Privilegien zur Folge. Beispiele für diese Privilegien sind die Befreiung von der Körperschaft- oder Gewerbesteuer nach § 5 Nr. 9 KStG bzw. § 3 Nr. 6 GewStG. Dies kann erhebliche Steuernachzahlungen zur Folge haben. Der Grund dafür ist, dass alle Gewinne steuerpflichtig sind, die den Tatbestand einer Einkunftsart erfüllen (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 1–3 EStG). Auch im Rahmen der Umsatzsteuer kann es zu erheblichen Nachzahlungen kommen, da einige Steuerbefreiungen oder teilweise der ermäßigte Umsatzsteuersatz (7% satt 19%) die Gemeinnützigkeit (neben anderen Voraussetzungen) erfordern.

Zudem besteht in diesem Zusammenhang auch das Risiko der Spendenhaftung. Die gemeinnützige Organisation haftet im Rahmen d er Spendenhaftung pauschal mit 30% der zugewendeten Spendenbeträge.

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit führt nicht zu einem endgültigen Verlust der Steuerbegünstigung, wie dies z.B. bei Wegfall der steuerbegünstigten Zwecke der Fall ist. Vielmehr wird die Steuerbegünstigung bei der sog. Aberkennung der Gemeinnützigkeit nur für die Veranlagungszeiträume versagt, in denen der Verstoß gegen die gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen festgestellt worden ist. Die negativen Folgen der Aberkennung der Gemeinnützigkeit treten daher für die Veranlagungszeiträume ein, in denen die Verstöße festgestellt wurden.

2. Organhaftung und Compliance

Persönliche Haftung des Geschäftsführers: Voraussetzungen und Durchsetzung

Die für diverse Gesellschaftsformen anwendbare, originär im Aktiengesetz normierte „Business Judgement Rule“ regelt einerseits die Maßgaben pflichtgemäßen Verhaltens von Organen im Rahmen von ihnen getroffener unternehmerischer Entscheidungen, andererseits offenbart sie Enthaftungsmöglichkeiten zugunsten der Leitungsorgane – mit Ausnahme der von Gesetzes wegen zwingend einzuhaltenden Legalitätspflichten: So haften Organe dann nicht, wenn sie

  • im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen – und damit fernab der gesetzlichen Legalitätspflichten –
  • gutgläubig,
  • ohne Sonderinteresse oder sachfremde Einflüsse,
  • zum Wohle der Gesellschaft und
  • auf Grundlage angemessener Informationen

gehandelt haben.

Insbesondere für eine korrekte Auslegung der einzelnen Vorgaben bedarf es dabei juristischer Expertise. Neben der Beachtung dieser Grundsätze muss zudem auf eine möglichst stringente wie exakte Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen geachtet werden, um im Streitfall die korrekte Befolgung der Business Judgement Rule belegen zu können.

Enthaftung über umfangreiche Compliance-Management-Struktur

Neben der Befolgung der Business Judgement Rule kann zudem eine umfangreiche Compliance-Management-Struktur zu einer Enthaftung führen. Sie bezeugt das Bemühen der Geschäftsleiter, Aufsichtsorgane und leitenden Angestellten um eine regelkonforme Unternehmensführung.

Bei der Entscheidung über die Implementierung eines Compliance-Management-Systems (CMS) haben Geschäftsleiter (als unternehmerische Entscheider) einen umfangreichen Ermessensspielraum, der jedoch zur Gewährleistung eines Mindeststandards in Bezug auf die eigene Regeltreue reduziert sein kann. Dies ist insbesondere bei solchen Unternehmen oder Organisationen der Fall, die ein hohes Risiko- und Haftungspotenzial schaffen, indem sie neben einem beträchtlichen Mitarbeiterstamm auch internationale Aktivitäten in mitunter für Complianceverstöße sensiblen Regionen oder Tätigkeitsschwerpunkten pflegen.

Die damit verbundenen Gefahren, die zu Strafverfolgung oder schon bei leichter Fahrlässigkeit zu existenzbedrohenden Haftungsrisiken führen können, können durch ein geeignetes CMS auf ein Minimum reduziert werden. Hierbei ist zu beachten, dass bei ehrenamtlichen Tätigkeiten der Maßstab für das Vorhandensein einer Pflichtverletzung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz beschränkt ist.

Individuelle Ausgestaltung eines Compliance-Management-Systems für jedes Unternehmen

Doch wann kann ein CMS zu einer solchen Reduzierung und damit zu einer Enthaftung beitragen? Zur Beantwortung dieser Frage muss ein CMS stets als eine individuelle Spiegelung der für das Unternehmen essenziellen Voraussetzungen gesehen werden: So spielen in diesem Zusammenhang individuelle Risiken (wie etwa das Branchenumfeld) wie auch die unternehmerische Ausrichtung und Zielsetzung eine wichtige Rolle, um ein ausreichendes Maß an Überwachung gewährleisten zu können. Weiterhin bedarf es eines sinnvollen Organisationssystems, welches zum einen ebenfalls auf das Unternehmen abgestimmt sein muss und zum anderen im Nachgang der Implementierung der ständigen (Über-)Prüfung und Adaption bedarf. Wie vergangene aber auch wieder jüngste Entwicklungen zeigen, betrifft dies zahlreiche Wirtschaftszweige – vom Finanzsektor bis zum verarbeitenden Gewerbe, aber auch Vereine, Stiftungen oder gemeinnützige Organisationen.

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Eine Patentlösung mittels eines starren, vorgefertigten Compliancekonzepts ist somit aufgrund der differenzierten Anforderungen – bedingt durch die individuellen unternehmerischen Ziele – nicht darstellbar. Zumindest im Ansatz jedoch weisen CMS oft ähnliche Grundstrukturen und Vorgehensweisen auf. So wird nach einer ersten Analyse zur Herausarbeitung individueller Risiken im Wege einer Due Diligence nebst Überprüfung ggf. vorhandener Maßnahmen zum compliancekonformen Verhalten ein CMS konzipiert, das nach der Implementierung einer stetigen Überwachung bedarf, um eine unternehmensspezifische Anpassung gewährleisten zu können.

Funktionierende Compliance-Management-Strukturen unerlässlich

Funktionierende Compliance-Management-Strukturen sind auch jenseits etwaiger bestehender gesetzlicher Verpflichtungen unabdingbar, um persönlichen Haftungsrisiken wirksam zu begegnen, Reputationsschäden langfristig effektiv zu vermeiden und nicht zuletzt Prozesse bedeutend transparenter und für die beteiligten Leitungsorgane rechtssicherer gestalten zu können. Dabei ist unbestritten, dass die Pflege intakter Compliancestrukturen einen Kardinalpunkt jedweder Unternehmensführung darstellt und die Regeltreue eines Unternehmens oder einer Organisation sicherstellen kann.

Die Implementierung, Funktionssicherheit und Adaption von Compliance-Management-Strukturen wird auch seitens der Rechtsprechung sowie der Behörden vorausgesetzt. Kein Geschäftsleiter, keine Aufsichtsperson und kein leitender Angestellter möchte sich vor Gericht wiederfinden und dem Umstand ausgesetzt sehen, dass in seinem Fall eine persönliche Haftung in zivil- oder gar strafrechtlicher Hinsicht gegeben und damit unter Umständen die eigene und familiäre Existenz bedroht ist, weil die Einhaltung von Regeln und die dafür unabdingbaren Strukturprozesse nicht ausreichend überwacht worden sind.

Auch möchte sich niemand in seinem Unternehmen Fragen ausgesetzt sehen, warum nur unzureichende Maßnahmen zum Schutz von Mitarbeitern oder weiteren Dritten umgesetzt wurden. Vergegenwärtigt man sich die in diesem Zusammenhang stehenden sowohl persönlichen als auch organisationsbezogenen negativen Auswirkungen, so wird deutlich, dass ein Festhalten an alten Glaubenssätzen wie „das haben wir schon immer so gemacht“, wie man es in der Praxis des Öfteren hört, nicht mehr funktionieren kann.

3. Arbeitsrecht

Grundsatz: Gesetzliche Sperrwirkung für Geschäftsführer vor dem Arbeitsgericht

Grundsätzlich gilt ein gesetzlicher Ausschluss für Mitglieder des Geschäftsführungsorgans oder für den Geschäftsführer selbst. Im Einzelfall kann auch ein Mitglied des Geschäftsführungsorgans vor dem Arbeitsgericht klagen. Sollte es damit Erfolg haben, weil seine abhängige Stellung im Unternehmen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) bejaht wird, gilt auch gem. § 23 KSchG das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), sofern der jeweilige Kläger kein leitender Angestellter ist.

Arbeitsgerichte sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG für Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses zuständig. Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung einer juristischen Person berufen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG) werden nicht darunter gefasst. Demnach sind Geschäftsführer grundsätzlich nicht vor den Arbeitsgerichten klagebefugt. Daher stellt sich die Frage, aus welchem Grund der ehemalige Geschäftsführer der AWO Frankfurt Klage vor dem hessischen Landesarbeitsgericht einreichen konnte.

Behandlung eines untergeordneten Geschäftsführers als leitender Angestellter vor dem Arbeitsgericht

Im konkreten Fall liegt der Grund dafür darin, dass es trotz der gesetzlichen Sperrwirkung für einen Geschäftsführer oder ein Mitglied eines Geschäftsführungsorgans möglich ist, vor dem Arbeitsgericht zu klagen, sofern demjenigen innerhalb der Organisation eine untergeordnete Bedeutung zukommt. In einem solchen Fall entfällt jedoch der Kündigungsschutz. Der Geschäftsführer wird hierbei wie ein leitender Angestellter behandelt.

Leitende Angestellte
können de facto keine Weiterbeschäftigung gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen. Dies gilt zumindest bei ordentlichen Kündigungen nach dem KSchG. Klagt ein leitender Angestellter gegen eine solche ordentliche Kündigung, kann der Arbeitgeber jederzeit ohne weitere Begründung vom Gericht verlangen, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung durch einen Auflösungsantrag gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu beenden.

Klagebefugnis des Geschäftsführers erst nach Ende der Organstellung

Geschäftsführer, die in ihrer Organisation keine untergeordnete Rolle innehaben, können solange keine Klage vor dem Arbeitsgericht einreichen, wie sie noch als Geschäftsführer bestellt sind. Dies gilt auch ungeachtet dessen, dass das Anstellungsverhältnis bereits gekündigt wurde, da Anstellung und Bestellung von Geschäftsführern oder auch Vereinsvorständen voneinander zu unterscheiden sind. Die Kündigung des Anstellungsvertrags bedeutet nicht zugleich die Abbestellung desjenigen als Geschäftsführer, Vorstand etc. In aller Regel ist die Abbestellung jedoch die Folge der Kündigung.

Die gesetzliche Sperrwirkung entfällt jedoch, wenn die Organstellung des Geschäftsführers beendet wurde. Die Sperrwirkung kann dabei auch nach der Klageerhebung entfallen, sofern die Organstellung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsweg endet. Die Organstellung kann in diesem Zusammenhang entweder seitens des Unternehmens durch Abberufung oder seitens des Geschäftsführers durch Amtsniederlegung beendet werden.

Das Entfallen der gesetzlichen Sperrwirkung hat allerdings nicht zur Folge, dass die Arbeitsgerichte zwingend zuständig sind. Zusätzlich müssen viel mehr noch weitere Umstände gegeben sein.
Einerseits kommt hierbei ein sog. „Sic-Non-Fall“ in Betracht. Dieser liegt vor, wenn der Geschäftsführer zwei Feststellungen begehrt:

  • zum einen, dass bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien vorgelegen hat und
  • zum anderen, dass dieses Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

Andererseits kommt die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts auch bei Verneinung eines Sic-Non-Falls in Betracht, wenn der Geschäftsführer darlegen kann, dass tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vorlag und nicht etwa z.B. ein Dienstverhältnis. Entscheidend dafür ist insbesondere der Grad der persönlichen Abhängigkeit und der Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers in seiner Tätigkeit.

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AWO — die Wiedererlangung der Gemeinnützigkeit
Aberkennung der Gemeinnützigkeit

Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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