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Kritik an Corona-Maßnahmen: BFH legt Grenzen für politische Betätigung fest

Kritik an Corona-Maßnahmen: BFH legt Grenzen für politische Bestätigung fest

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner Entscheidung vom 18.08.2021 konkretisiert, in welchem Umfang sich NPOs im Rahmen ihrer Satzungszwecke politisch betätigen dürfen. Zwar ging es in dem Fall um einen Verein, der die Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen öffentlich kritisierte. Allerdings sind die Grundsätze dieser Entscheidung auch für die zahlreichen NPOs relevant, die sich im Umwelt- und Naturschutz engagieren. Denn auch sie äußern sich häufig kritisch über geplante staatliche Maßnahmen und laufen damit Gefahr, sich unzulässig politisch zu betätigen und somit im Einzelfall die Grenzen der Gemeinnützigkeit zu überschreiten.

Verein kritisiert Corona-Maßnahmen

Der Fall vor dem BFH betraf einen eingetragenen und als gemeinnützig anerkannten Verein, dessen Zwecke die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und des demokratischen Staatswesens sind. In mehreren wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf seiner Webseite zweifelte er die Effektivität des Tragens von Gesichtsmasken an und wies zudem auf mögliche gesundheitliche Gefahren des Maskentragens und der Verwendung von Desinfektionsmitteln hin. Er stellte jedoch auch konkrete politische Forderungen an die Bundes- und Landesregierungen, wie z.B. die sofortige Aufhebung aller Corona-Maßnahmen – ohne jedoch seine Forderungen wissenschaftlich zu begründen. Zudem wies der Verein in einer Veröffentlichung auf das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) hin. Ferner trat der Vorsitzende des Vereins auf öffentlichen Kundgebungen und Vorträgen auf, auf denen er die Forderungen des Vereins vortrug. Diese Auftritte wurden aufgenommen und auf der Webseite des Vereins veröffentlicht.

Grenzen der Gemeinnützigkeit überschritten

Das Finanzamt sah die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins nicht mehr als gemeinnützigkeitsrechtskonform an, sodass es einen Körperschaftsteuer-Vorauszahlungsbescheid in Höhe von null Euro erließ und dem Verein damit faktisch die Gemeinnützigkeit aberkannte. Der Verein versuchte sich dagegen mit einem Eilverfahren vor dem Finanzgericht (FG) München zu wehren, blieb aber ohne Erfolg. Bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände sei, so das FG München, die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins nicht mehr darauf gerichtet gewesen, ausschließlich gemeinnützige Zwecke zu verfolgen, sodass das Finanzamt die Gemeinnützigkeit zu Recht aberkannt habe. 

BFH bestätigt Entzug der Gemeinnützigkeit

Der Verein gab nicht auf und legte Beschwerde beim BFH ein. Doch auch dort erlitt er eine Niederlage: Das Gericht entschied, dass dem Verein die Gemeinnützigkeit zu Recht entzogen worden war. Der Grund: Die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins sei nicht mehr von den Satzungszwecken „Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens“ sowie „Förderung des demokratischen Staatswesens“ gedeckt, sondern überschreite die Grenzen der Gemeinnützigkeit.

Keine Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens…

Im Hinblick auf den Zweck der „Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens“ stellte der BFH zunächst klar, dass von diesem Zweck alle Tätigkeiten erfasst seien, die der Gesundheit der Bürger dienen und die für die Verwirklichung des Zweckes erforderlich seien. Dazu gehöre u.a. auch die Information der Bevölkerung über die Verhinderung und Bekämpfung von Krankheiten. Die verbreiteten Informationen müssten jedoch auf aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft und Forschung beruhen, damit ihre Verbreitung gemeinnützigkeitskonform bleibe, so das Gericht. 

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Der Verein habe diese zulässigen Grenzen überschritten: Insbesondere die undifferenzierte Forderung nach der sofortigen Aufhebung aller Corona-Maßnahmen, ohne dass sich der Verein dabei näher mit den medizinischen, virologischen oder epidemiologischen Gründen für deren Implementierung auseinandersetzte, ging nach Auffassung des Gerichts über das hinaus, was zur Verfolgung des Zwecks der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens erforderlich sei. Denn hierdurch trete der Verein in den politischen Wettstreit um die richtige Strategie im Umgang mit der Coronapandemie. Der Hinweis auf das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG stehe zudem in keinem Zusammenhang mit der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens, da keine rechtswidrigen Zustände im öffentlichen Gesundheitswesen vorherrschten, gegen die die Ausübung von Widerstand das letzte verbleibende Mittel sei. Denn alle getroffenen Corona-Maßnahmen könnten weiterhin mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln vor Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. 

…noch des demokratischen Staatswesens

Die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins sei auch nicht auf die Förderung des demokratischen Staatswesens gerichtet gewesen, so das Gericht. Denn mit seinen pauschalen Forderungen an die Bundes- und Landesregierungen wollte der Verein gezielt auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und seine eigene Auffassung durchsetzen. Somit habe er nicht in geistiger Offenheit gehandelt, wie es für die Förderung des demokratischen Staatswesens in Form der politischen Bildung notwendig gewesen wäre. 

Aberkennung der Gemeinnützigkeit ist verhältnismäßig

Ferner sei, so der BFH, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit auch verhältnismäßig gewesen. Denn die Videos, in denen der Vereinsvorstand die Forderungen des Vereins öffentlich vortrug, waren dauerhaft auf der Webseite des Vereins abrufbar gewesen. Zudem habe sich der Verein nicht von den Äußerungen seines Vorstandes erkennbar distanziert oder diese unterbunden. Es lägen somit keine einmaligen und geringfügigen Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht vor, sondern stattdessen fortwährend andauernde Verstöße, sodass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit gerechtfertigt sei.

Äußerungen müssen im Zusammenhang mit steuerbegünstigtem Zweck stehen

Wir halten die Entscheidung des BFH im Ergebnis für richtig. Es entspricht der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des BFH, dass sich gemeinnützige Organisationen zwar durchaus kritisch zu politischen Themen äußern dürfen. Dies erfordert allerdings, dass die Äußerungen im Zusammenhang mit ihrem steuerbegünstigten Zweck stehen und die Kritik auf sachlich fundierte und objektive Argumente gestützt wird. Die aktuelle BFH-Entscheidung geht auf das BUND-Urteil (sachliche und objektive Argumente) und die attac-Entscheidungen (politische Bildung erfordert geistige Offenheit) zurück. 

Verfolgung politischer Zwecke nur in engen Grenzen innerhalb der Satzungszwecke erlaubt

Für NPOs gilt weiterhin: Die Verfolgung politischer Zwecke ist für NPOS nur in äußerst engen Grenzen innerhalb ihrer Satzungszwecke erlaubt. Sie müssen daher weiterhin die vom BFH aufgestellten Kriterien zum zulässigen Umfang politischer Betätigungen beachten. Das gilt insbesondere für NPOs, die sich im Umwelt- und Naturschutz engagieren. Denn auch sie äußern sich häufig kritisch über geplante staatliche Maßnahmen, die entweder die Natur und Umwelt schädigen oder nicht ausreichend schützen. Damit laufen auch sie Gefahr, im Einzelfall die Grenzen der Gemeinnützigkeit zu überschreiten. Betroffene NPOs sollten sich daher stets an einen Experten für Gemeinnützigkeitsrecht wenden, bevor sie staatliche Maßnahmen öffentlich kritisieren.

BFH, Beschluss v. 18.08.2021 – V B 25/21 (AdV)

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Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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