Was sind Treaty-Shopping und Anti-Treaty-Shopping-Regelungen?
Der Begriff Treaty-Shopping (oder Directive-Shopping) stammt aus dem US-amerikanischen Abkommensrecht. Gemeint sind damit steuerrechtliche Gestaltungen, die zu dem Zweck errichtet werden, abkommensrechtliche Steuervergünstigungen oder Richtlinienvorteile in Anspruch zu nehmen. Als Anti-Treaty-Shopping-Regelungen bezeichnet man nationale Vorschriften, durch die der Gesetzgeber missbräuchliches Treaty-Shopping zu verhindern versucht.
Besondere Bedeutung erlangt das Treaty-Shopping im Bereich der Reduzierung von Quellensteuer. Dazu bedient sich ein Steuerpflichtiger, der selbst nicht abkommensberechtigt ist, einer abkommensberechtigten Kapitalgesellschaft, die er als Zwischengesellschaft errichtet. Ausländische Einkünfte fließen dann unmittelbar an diese Zwischengesellschaft und nur mittelbar an den nicht abkommensberechtigten Steuerpflichtigen. Über diesen Weg kommen ihm dann die Vorteile eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) oder einer Richtlinie zu.
Zur Verdeutlichung: Deutsche Gesellschaft mit ausländischer Mutter
Eine deutsche Kapitalgesellschaft schüttet Gewinne an ihre ausländische Muttergesellschaft aus. Der Sitz der ausländischen Mutter wird so gewählt, dass ihr die Vorteile aus einem DBA bzw. einer Richtlinie zugutekommen. Die Anteile an der ausländischen Holding hält eine Person, die selbst nicht berechtigt ist, die Vorteile aus dem DBA oder der Richtlinie in Anspruch zu nehmen. In den Fällen, über die der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Dezember 2017 zu entscheiden hatte, wurden die Anteile jeweils von natürlichen Personen gehalten, die ihren Wohnsitz in Deutschland bzw. in Singapur hatten.
Der deutsche Gesetzgeber hat in der Vergangenheit versucht, dieser Handhabung entgegenzuwirken. Nach der entsprechenden nationalen Regelung wird deshalb die Steuerbefreiung bzw. Steuerermäßigung bei missbräuchlichen und rein künstlichen Gestaltungen untersagt.
Europäischer Gerichtshof entscheidet: Deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung ist unionsrechtswidrig
Diese nationale Regelung verstößt gegen Unionsrecht. Das hat der EuGH nun entschieden. Die Entscheidung ist allerdings zur Vorgängerregelung ergangen. Ob der EuGH auch die aktuelle Regelung kippt, ist damit noch offen. Ein Urteil dazu ist in nächster Zeit zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Regelung den Vorgaben des Gerichts nicht standhält.
Bundesfinanzministerium setzt Entscheidung des EuGH um
Im April hat das Bundesfinanzministerium (BMF) auf das Urteil des EuGH reagiert und ein Schreiben zur unionsrechtskonformen Anwendung der nationalen Missbrauchsbekämpfungsvorschrift veröffentlicht. Es hat darin die Entscheidung des EuGH weitgehend umgesetzt. Die vom Gericht beanstandete Regelung findet keine Anwendung mehr. Die entsprechende Nachfolgeregelung bleibt zunächst eingeschränkt anwendbar.
Praxishinweis: Ablehnende Bescheide gegen Erstattung der Quellensteuer offenhalten
Erstattungs- und Freistellungsanträge sind vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH und des BMF-Schreibens neu zu bewerten. Für Anträge auf Erstattung oder Freistellung von der Quellensteuer nach der alten Rechtslage (d.h. ab dem Veranlagungszeitraum 2007) gilt: Sofern hier noch offene Verfahren bestehen, sollte eine Erstattung der Quellensteuer beantragt werden. Solche Anträge wird das zuständige Bundeszentralamt für Steuern nicht mehr mit Hinweis auf die nationale Missbrauchsbekämpfungsvorschrift ablehnen.
Für entsprechende Anträge ab dem Veranlagungszeitraum 2012 gilt: Bis zur Entscheidung des EuGH sollten ablehnende Bescheide gegen die Erstattung von Quellensteuer angegriffen und offengehalten werden.
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