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Gemeinnützige Zwecke: Voraussetzungen für Förderung des demokratischen Staatswesens

Gemeinnützige Zwecke: Voraussetzungen für Förderung des demokratischen Staatswesens

Der gemeinnützige Zweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens gem. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO wurde bisher wenig beachtet. In einem aktuellen Fall vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg ging es nun darum, was der Zweck der „Förderung des demokratischen Staatswesens“ bedeutet.

Keine Befreiung von Körperschaftsteuer für Online-Petitionsplattform

Ein gemeinnütziger Verein betreibt eine Internetplattform, die es den Nutzern ermöglicht, Petitionen zu erstellen und diese elektronisch zu unterzeichnen (Petitionsplattform). Dabei werden verschiedene Anliegen gefördert. Mit der Körperschaftsteuererklärung für 2016 und 2017 begehrte der Verein die Befreiung von der Körperschaftsteuer gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG.

Das Finanzamt erteilte die Steuerbefreiung nicht. Zur Begründung wurde angegeben, dass die Geschäftsführung nicht auf die Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks gerichtet sei. Zudem seien die Mittel des Vereins nicht ausschließlich für steuerbegünstigende Zwecke verwendet worden, denn die Petitionsplattform unterstütze Petitionen an Jedermann – auch nicht staatliche Stellen. Dies sei keine Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke i.S.d. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO. Eine Petitionsplattform wie die des Vereins diene nur dann der Förderung des demokratischen Staatswesens, wenn die auf der Seite vorhandenen Petitionen den Maßgaben des Art. 17 GG entsprechen.

Online-Petitionsplattform erfüllt keine steuerbegünstigten Zwecke

Der Verein legte Einspruch gegen den Bescheid des Finanzamts ein. Er war der Auffassung, dass das Finanzamt den Begriff des „demokratischen Staatswesens“ zu eng auslege. Dieses umfasse sämtliche Belange, die über das Interesse des Einzelnen hinausgehen und somit alle Themen, die für die Gesellschaft Bedeutung hätten. Staatswesen sei danach mit Gemeinwesen gleichzusetzen.

Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus, dass mit der bloßen Zurverfügungstellung der Online-Petitionsplattform nicht unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke erfüllt werden. Eine allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens durch den Betrieb einer Petitionsplattform sei auf Petitionen nach Art. 17 GG zu beschränken. Die Ermöglichung und Unterstützung von Bitten, Verlangen und Ansuchen an andere als staatliche Stellen unterfalle nicht dem allgemeinen Petitionsrecht und diene nicht der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens.

Der Verein erhob daraufhin Klage vor dem FG Berlin-Brandenburg und beantragte unter Aufhebung der jeweiligen Ausgangsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen, als gemeinnützige Körperschaft anerkannt und von der Körperschaftsteuer befreit zu werden.

Weitere Auslegung des FG Berlin-Brandenburg

Nach Auffassung des FG Berlin-Brandenburg ist die Klage zulässig und begründet. Das Gericht teilte nicht die Auffassung des Finanzamts, wonach Petitionen nur dann als Zweckverwirklichungsmaßnahmen im Rahmen des gemeinnützigen Zwecks der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens anerkannt werden können, wenn es sich um solche i.S.d. Art. 17 GG handelt. Durch diese Auslegung werde der Begriff des demokratischen Staatswesens zu sehr verengt.

Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens

Der gemeinnützige Zweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens sei gegeben, wenn sich eine Körperschaft umfassend mit den demokratischen Grundprinzipien befasst und diese objektiv und neutral würdigt. Die Betätigung sei abzugrenzen von der politischen Bildung (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AO).

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Nach der Auffassung des Gerichts bedeutet „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ in Abgrenzung zu „Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen“ das aktiv werbende Eintreten für Grundsätze des demokratischen Staatswesens.

Die Inhalte des demokratischen Staatswesens seien aus den grundrechtlich verbürgten Prinzipien, Rechten und Werten abzuleiten. Zum demokratischen Staatswesen gehören nach Ansicht des Gerichts insbesondere

  • das Demokratieprinzip,
  • die Grundrechte, vor allem die Meinungsfreiheit,
  • die organisatorischen Grundsätze
    • der Gewaltenteilung,
    • des Wahlrechts,
    • des Mehrparteiensystems,
    • des allgemeinen staatlichen Aufbaus,
    • des Föderalismus sowie
  • Rechts- und Sozialstaatlichkeit.

Mindestanforderungen an Demokratie

Dabei geht das Gericht besonders auf die Grundsatzentscheidung des Art. 20 Abs. 1 GG ein, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist. Diese Grundsatzentscheidung betreffe Grundvorstellungen von Demokratie, ohne die Demokratie nicht sinnvoll gedacht werden könne. Entsprechend erfordere Demokratie gewisse Mindestanforderungen an die politische Willensbildung (freie Selbstbestimmung aller Bürger). Die Wähler müssten ihre politische Entscheidung aufgrund eines freien und offenen Prozesses der Meinungsbildung treffen können. Das demokratische Prinzip bedinge nicht nur die Parteien- und Wahldemokratie, sondern erfordere generell den aufgeklärten Bürger. Demokratie ist nach Auffassung des Gerichts ohne Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht denkbar. Damit fördere der Verein das demokratische Staatswesen in seinem Kernbereich.

Im Umkehrschluss führe die auf den Kernbereich zielende Förderung dazu, dass die einzelne Tätigkeit nicht zwingend messbare Erfolge aufweisen muss. Insoweit sei dem Verein darin zu folgen, dass die Förderung der Einzelnen und deren Erfahrungen im demokratischen Prozess genügen kann.

Das Gericht hat offen gelassen, ob eine Förderung des demokratischen Staatswesens bei weniger bedeutenden Kernbereichen – z.B. dem allgemeinen staatlichen Aufbau – intensiver erscheinen muss.

Verein erfüllt Kriterien für „Förderung des demokratischen Staatswesens“

Nach Überzeugung des Gerichts führt die Offenheit der über die Plattform verfolgbaren Ziele und Zwecke gerade nicht dazu, dass keine Förderung des demokratischen Staatswesens mehr vorliege. Vielfältige Kampagnen wurden über die Plattform gestartet. Der Verein sei also gerade offen für sämtliche – nicht rechtswidrige bzw. sogar verfassungswidrige – Anliegen gewesen. Damit lag zur Überzeugung des Gerichts auch gerade eine hinreichende „geistige Offenheit“ der Tätigkeit vor.

Der Verein habe auch deutlich gemacht, dass er sich die Inhalte der Petenten (Kampagnenstarter) nicht zu eigen gemacht habe und machen wollte. Damit sei auch kein Konflikt mit den strengen Vorgaben zur Parteienfinanzierung ersichtlich. Die Inhalte der einzelnen Kampagnen seien gerade nicht Gegenstand der inhaltlichen Arbeit des Klägers gewesen. Diese Bestand darin die aktiven Nutzer der Plattform zu unterstützen.

Dass die einzelnen Kampagnen auch Einzelinteressen verfolgt hatten (z.B. Nichtabschiebung konkreter Personen in einen Herkunftsstaat, Wiederaufnahme konkreter Strafprozesse etc.), sei unerheblich, weil die Tätigkeit der Petitionsplattform sich gerade nur auf die „Vorstufe“ der Meinungsäußerung zur Zielerreichung begrenze. Insoweit sei der Verein – bezogen auf analoge Aktivitäten und Kampagnen – einem Demonstrations- und Versammlungsförderverein vergleichbar, der die einzelnen Bürger bestärke, öffentlich ihre Ziele zu vertreten, zu verbreiten und die Masse in der Öffentlichkeit zu erreichen und hierbei z.B. übliche Demonstrations- und Versammlungsmaterialien bereitstelle, aber hauptsächlich die Nutzer darin berate, wie ihre Anliegen formuliert und transportiert werden können.

Bei der Tätigkeit des Vereins handele es sich nicht um politische Bildung, da er keine Aus- und Fortbildungsleistungen zu den Grundrechten und deren Gehalt und Grenzen erbringe. Dass die Nutzer demokratische Erfahrung gewinnen, sei nur mittelbare Folge der Betätigung.

Das Finanzamt hat die zugelassene Revision eingelegt, diese ist beim Bundesfinanzhof (BFH) zum Az. V R 28/23 anhängig.

Kein Raum für politische Betätigung

In einer Parallelentscheidung zur Prüfungstiefe bei Versagen eines Feststellungsbescheids nach § 60a Abs. 1 AO wegen Verstoßes der tatsächlichen Geschäftsführung gegen die satzungsmäßigen Festlegungen (FG Berlin Brandenburg, Urteil v. 14.11.2023, 8 K 8012/23) stellt das FG im Zusammenhang mit dem gemeinnützigen Zweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens weiter klar, dass dieser keinen Raum für politische Betätigung lasse. Erforderlich sei eine Förderung des demokratischen Staatswesens im Kern, und dies ohne konkrete Problemfelder der Tagespolitik durchsetzen zu wollen. Die mittelbare Kritik an den drei Staatsgewalten durch Veröffentlichungen auf den eigenen Internetseiten sei keine ausreichende Betätigung zur allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens, da sich diese Tätigkeit nicht von bloßen Themenblogs oder Nachrichtenkanälen unterscheide.

Umfassende Beratung zum politischen Engagement von NPOs

Die mit den Urteilen des FG verbundene richterliche Konkretisierung der Inhalte und Reichweite des Begriffs des „demokratischen Staatswesens“ ist zu begrüßen. Der gemeinnützige Zweck liegt, wie auch die Parallelentscheidung zeigt, im Spannungsfeld zwischen der Einflussnahme auf die politische Willensbildung, der politischen Bildung und dem zivilgesellschaftlichen Engagement zum Empowerment informierter Bürger, demokratische Teilhaberechte zu nutzen und Demokratie aktiv mitzugestalten.

Gemeinnützige Organisationen, die den Zweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens verfolgen und sich in diesem Spannungsfeld betätigen, bietet das Urteil eine wichtige und überfällige Orientierung über die Reichweite des Betätigungsfeldes. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH sich der Auslegung des Gerichts anschließt. Bisher hat der BFH keine über eine „Befassung mit den demokratischen Grundprinzipien“ hinausgehende Konkretisierung vorgenommen.

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FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.11.2023, 8 K 8198/22

Weiterlesen:
Anerkennung der Gemeinnützigkeit: Voraussetzungen, Möglichkeiten, Kosten
Politische Aktivitäten von NPOs

Eva Helfenstein

Rechtsanwältin Eva Helfenstein berät am Frankfurter Standort Stiftungen und andere Nonprofit-Organisationen in allen Angelegenheiten des Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrechts.

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