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Dürfen Kindergärten in der Rechtsform des e.V. betrieben werden?

Kindergärten und Kindertagesstätten (KiTas) firmieren häufig als Idealvereine, d.h. als e.V. Seit geraumer Zeit hinterfragt die Rechtsprechung allerdings die Rechtsform des e.V. für Kindergärten und andere soziale Einrichtungen, die Zweckbetriebe unterhalten. Nach den Entscheidungen des Kammergerichts Berlin (siehe HIER und HIER) und des Bundesfinanzhofes zeichnete sich die Tendenz ab, dass – abgesehen von sehr kleinen Elterninitiativen – Kindergärten künftig nicht mehr als e.V., sondern in den Rechtsformen der gGmbH, der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft (gUG) oder der gemeinnützigen Genossenschaft betrieben werden müssen (siehe hierzu Winheller, DStR 2012, 1562 ff). In einem Beschluss vom 18. September 2012 ist das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein diesem Trend entgegengetreten.

Die Mitglieder eines Kindergarten e.V. hatten eine Satzungsneufassung beschlossen. Das Vereinsregister weigerte sich allerdings, die Änderung im Vereinsregister einzutragen. Der planmäßige, auf Dauer angelegte entgeltliche Betrieb einer Kinderbetreuung sei – entsprechend den vom KG Berlin entwickelten Grundsätzen – grundsätzlich als entgeltliche unternehmerische Betätigung einzustufen. Bei dem Kindergarten handele es sich, so die zuständige Rechtspflegerin, mithin um einen wirtschaftlichen Verein und nicht um einen Idealverein. Gemäß den §§ 21, 22 BGB könne aber nur letzterer im Vereinsregister eingetragen werden. Der fälschlicherweise im Register eingetragene wirtschaftliche Verein müsse daher von Amts wegen aus dem Vereinsregister gelöscht werden.

Der Rechtsprechung des KG Berlin sind bislang zahlreiche Vereinsregister auch außerhalb Berlins gefolgt. Auch die Beratungspraxis geht bei Neugründungen und Umstrukturierungen zweckbetriebsdominierter Einrichtungen mittlerweile deutlich zurückhaltender zu Werke als noch vor ein paar Jahren, als die Rechtsform des e.V. in der Praxis kaum ernsthaft hinterfragt wurde. Zumindest auf den ersten Blick etwas überraschend ist daher die Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein, das der Auffassung der Rechtspflegerin widerspricht, wenn auch nur – aus prozessualen Gründen – mit allgemeinen rechtlichen Ausführungen und ohne sich in der Sache letztverbindlich festzulegen.

Das OLG meint, dass vieles dafür spreche, dass der Kindergarten im vorliegenden Fall ein ideeller Verein sei. Es führt unter anderem folgende Gründe hierfür auf:

  • Der Verein verfolge keine wirtschaftlichen Zwecke, sondern den Betrieb einer Kindertagesstätte, d.h. die ideelle Förderung von Bildung und Erziehung von Kindern.
  • Der Verein sei als gemeinnützig anerkannt und verfolge gemeinnützige Zwecke.
  • Der Verein lasse sich in keine der üblichen Kategorien eines wirtschaftlichen Vereins einordnen: Dazu zählten Vereine, die dauerhaft und planmäßig Leistungen auf einem äußeren oder inneren Markt anböten und solche, die eine genossenschaftliche Kooperation betrieben. Der Verein verfolge nämlich in erster Linie ideelle Zwecke und die Eltern wollten der Einrichtung nicht als Kunden gegenübertreten, sondern sich persönlich engagieren und ihre eigenen Vorstellungen und Erziehungskonzepte gemeinsam umsetzen.
  • Der Verein werde außerdem durch die öffentliche Hand finanziert; der Schutzzweck der §§ 21, 22 BGB sei daher von vornherein nicht betroffen: Das Gesetz wolle verhindern, dass wirtschaftliche Betätigungen, die sich an sich einer anderen Rechtsform mit ihren Gläubigerschutzvorschriften bedienen müssten, missbräuchlich in der Form des e.V. ausgeübt werden.

Dem Verein komme schließlich auch das Nebenzweckprivileg zugute.

Hinweis: Die Entscheidung steht nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Entscheidung des KG Berlin. Tatsächlich geht das Gericht einer allzu klaren Konfrontation nämlich aus dem Weg. Es stellt vielmehr fest, dass sich die den Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte unterschieden und daher auch unterschiedliche Lösungen rechtfertigten. Und tatsächlich: Während es sich im Fall des KG Berlin um einen etwas größeren Träger handelte, ging es im Fall des OLG Schleswig-Holstein offenbar um einen kleineren, aus einer Elterninitiative hervorgegangenen Verein. Solch kleine Einheiten werden aber selbst in Berlin bis heute in das Vereinsregister eingetragen – das Registergericht in Berlin verwehrt gerade nicht automatisch allen KiTas gleich welcher Größe die Eintragung. Und das ist auch nur folgerichtig: Derlei Kleinsteinrichtungen sind nämlich nur selten als Unternehmen am Markt tätig – weder an einem äußeren noch an einem inneren. In ihnen schließen sich meist nur einige wenige Eltern zusammen, um ihre Kinder gemeinsam zu betreuen. In Berlin spricht man insoweit meist von „Kinderläden“. Die gezahlten Mitgliedsbeiträge dienen dann nicht als Entgelt und Gegenleistung für die Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen. Sie finanzieren schlicht die gemeinsame Erziehung der Kinder, die von den Eltern selbst – gegenseitig – erbracht wird.

Für größere Einrichtungen dürfte dieses Argument hingegen nur selten fruchtbar gemacht werden können. Eine Kunde-Dienstleister-Beziehung lässt sich in größeren Einrichtungen nicht ernsthaft leugnen – gleich, ob die Eltern noch zusätzlich ein paar Stunden pro Monat Vereinsarbeit zu erbringen haben oder überhaupt kein persönliches Engagement zeigen. Ohne hauptamtliches Personal kommen größere Einrichtungen schlicht nicht aus – meist wird sogar eine Vielzahl von Erziehern und Erzieherinnen beschäftigt.

Ob die Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein auch für größere Einrichtungen gilt, ist daher eher zweifelhaft. Auch
folgende Überlegungen sprechen dagegen:

  • Wenn allein die Tatsache, dass eine Einrichtung durch die öffentliche Hand finanziert wird, die Rechtsform des Idealvereins rechtfertigen würde, stünde es künftig auch Krankenhäusern, Altersheimen, Schulen, Museen, Theatern und zahlreichen weiteren (Groß-) Einrichtungen der Daseinsvorsorge offen, als e.V. zu firmieren. Das kann nicht richtig, zumindest aber nicht gewollt sein. Rechtsdogmatisches Ziel der Unterscheidung zwischen Idealverein und wirtschaftlichem Verein ist es nicht, möglichst vielen Einrichtungen Zutritt zur Rechtsform des Idealvereins zu gewähren, sondern – umgekehrt – unternehmerisch tätige Einrichtungen auf geeignetere Rechtsformen außerhalb des Vereinsrechts zu verweisen: auf die gGmbH oder die gemeinnützige Genossenschaft oder aber – für kleinere Vorhaben, die Kosten sparen möchten – auf die gUG oder die ggf. künftig zu erwartende Kooperationsgesellschaft (die sog. „Mini-Genossenschaft“, vgl. den Referentenentwurf zur Einführung der Kooperationsgesellschaft v. 08.03.2013).
  • Wenn das OLG meint, dass ein gemeinnütziger Zweck eines Vereins nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, ist das in dieser Pauschalität falsch. Sämtliche Einrichtungen, die ihre gemeinnützigen Zwecke (hier: Jugendhilfe, Bildung/Erziehung) mittels ihrer Zweckbetriebe erfüllen, sind nämlich im steuerlichen Sinne in der Tat ausschließlich auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gemäß § 14 AO ausgerichtet! Das ist in gemeinnützigkeitsrechtlicher Hinsicht auch nicht weiter problematisch: Da der gemeinnützige Zweck gerade durch die wirtschaftliche Betätigung gefördert wird, ist die Betätigung trotz ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung steuerlich privilegiert (Zweckbetrieb).
  • Die Gemeinnützigkeit eines Vereins ist übrigens auch schon deshalb kein taugliches Indiz für die Nichtwirtschaftlichkeit einer Betätigung, weil auch z.B. GmbHs und AGs gemeinnützig sein können (vgl. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Aufl., Rn. 163).
  • Das OLG konzentriert sich zu sehr auf die in der Satzung festgelegten ideellen Zwecke des Vereins. Dass diese ideeller Art und überdies gemeinnützig sind, dürfte nicht zu bestreiten sein, auch wenn aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht der Satzungszweck „Betrieb einer Kindertagesstätte“ unglücklich formuliert ist, weil es sich hierbei streng genommen nicht um den Zweck, sondern um die Art und Weise der Umsetzung des eigentlichen Zwecks Jugendhilfe und Erziehung handelt (vgl. § 52 AO sowie die Mustersatzung in Anlage 1 zu § 60 AO). Für die Frage, ob ein Idealverein oder ein wirtschaftlicher Verein vorliegt, kommt es aber nach heute herrschender Auffassung gar nicht auf den in der Satzung verankerten Zweck an, sondern insbesondere auf die Tätigkeiten, die ein Verein tatsächlich entfaltet (vgl. z.B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Aufl., Rn. 123 und 130; auch zum „Nebentätigkeitsprivileg“ statt „Nebenzweckprivileg“ Reichert, a.a.O., Rn. 160 ff.). Bei einem Kindergarten ist der Betrieb des Kindergartens diese vom Verein entfaltete Tätigkeit. Aus der Sicht der Steuerrechts ist unstreitig, dass ein solcher Betrieb einen (steuerlich begünstigten) wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb darstellt, der die Voraussetzungen des § 14 AO erfüllt (im Wesentlichen: „selbständige, nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen erzielt werden“). Es soll nicht geleugnet werden, dass steuerrechtliche Wertungen nicht eins zu eins in das Vereinsrecht übernommen werden dürfen. Wenn man die aus dem Vereinsrecht bekannte Klassifizierung wirtschaftlicher Vereine in die drei Kategorien „Betätigung am äußeren Markt“, „Betätigung am inneren Markt“, „kooperative Betätigungen“ ernst nimmt, stellt sich aber trotzdem die Frage, wie es gelingen soll, einen Betrieb, der tatsächlich sämtliche Voraussetzungen des § 14 AO erfüllt, aus den genannten drei Kategorien auszuscheiden. § 14 AO setzt nämlich immer mindestens eine Betätigung an einem inneren Markt voraus.
  • Das OLG stützt sich für seine Entscheidung auf diverse Literaturstellen und Rechtsprechung. Nicht alle genannten Fundstellen aber stützen die Entscheidung: Der Hinweis auf die Entscheidung des OLG Hamburg in OLGE 15, 323 geht z.B. schon deswegen fehl, weil die Hamburger Entscheidung zur Unterscheidung zwischen Idealverein und wirtschaftlichem Verein allein auf den Zweck des Vereins abstellt. Diese sog. subjektive Theorie, die die tatsächliche Betätigung des Vereins außer Acht lässt, ist freilich seit langem überholt (so schon Karsten Schmidt, NJW 1988(!), 2574). Damit ist auch der Hinweis des OLG Schleswig-Holstein auf die 10. Auflage von Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, wenig hilfreich; diese Fundstelle bezieht sich nämlich ebenfalls auf die Entscheidung des OLG Hamburg. Abgesehen davon weisen Stöber/Otto ausdrücklich darauf hin, dass die von ihnen aufgeführten Praxisfälle „nicht ohne weiteres verallgemeinert werden [dürfen], weil jeder Verein nach Maßgabe seines satzungsmäßigen Zwecks und seiner Vereinstätigkeit eine abweichende Beurteilung erfordern kann.“ (Stöber/Otto, a.a.O., Rn. 79 Fn. 8).
  • Nicht überzeugen kann schließlich das Argument des OLG, das Landesrecht sehe die Vereinsrechtsform als zulässige Rechtsform für Kindertagesstätten vor. Das bedeutet doch nur, dass eine nach Bundesrecht zulässigerweise als e.V. firmierende Einrichtung den Vorgaben des Landesrechts genügt. Umgekehrt heißt das aber natürlich nicht, dass das Landesrecht dem Bundesrecht vorgeben kann, dass Kindergärten sich zulässigerweise der Rechtsform des e.V. bedienen dürfen. Wann ein Verein Idealverein und wann er wirtschaftlicher Verein ist, regeln allein die §§ 21 und 22 BGB (Bundesrecht) und nicht das Landesrecht.
  • Es spricht daher einiges dafür, dass größere Einrichtungen, in denen die gemeinsame Erziehung der Kinder nicht mehr ausschließlich durch die Eltern selbst erbracht wird, weiterhin am strengen Maßstab des KG Berlin zu messen sind. Jedenfalls sollten sich Vereine auf Diskussionen mit ihrem Registergericht einstellen, sowohl im Fall von Neugründungen als auch bei gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen (z.B. Abspaltungen u.ä.) und – so wie im Fall des OLG – bei Satzungsänderungen bzw. –neufassungen.
  • Kleinere Einrichtungen können sich hingegen weiterhin auf die Praxis der Vereinsregister in Berlin, aber nun auch auf den Beschluss des OLG stützen, der ganz offensichtlich von dem Wunsch getragen ist, diesen Einrichtungen Schützenhilfe gegen allzu voreilige Entscheidungen der Registergerichte zu leisten. Auch wenn die Entscheidung des OLG unseres Erachtens nicht durchweg überzeugt, ist ihr in einem Punkt uneingeschränkt zuzustimmen: Es bleibt dabei, dass eine pauschale Einstufung bestimmter Einrichtungen als unternehmerisch fehl geht und stattdessen in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung erforderlich ist.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss v. 18.09.2012, Az. 2 W 152/11.

Stefan Winheller

Rechtsanwalt Stefan Winheller ist seit rund 20 Jahren auf steuerrechtliche Fragen spezialisiert, v.a. in den Bereichen Krypto, Stiftungen/NPO und Internationales.

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