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Virtuelle Generalversammlungen aktuell auch ohne Satzungsgrundlage möglich

Virtuelle Generalversammlungen aktuell auch ohne Satzungsgrundlage möglich

Um die Handlungsfähigkeit von NPOs während der Coronapandemie sicherzustellen, hat der Gesetzgeber im letzten Jahr das sog. Covid-19-Gesetz verabschiedet. Damit können beispielsweise Vereine ihre Beschlüsse auch in virtuellen Mitgliederversammlungen fassen – selbst wenn die Satzung hierzu keine Regelung enthält. Bisher war unklar, ob auch Genossenschaften von dieser Ausnahme profitieren können. Denn das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte im Frühjahr 2021 entschieden, dass virtuelle Generalversammlungen bei Genossenschaften trotz des Covid-19-Gesetzes weiterhin nur mit einer entsprechenden Satzungsregelung möglich seien. Erfreulicherweise hat jedoch nun der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung vom 05.10.2021 klargestellt, dass auch Genossenschaften virtuelle Generalversammlungen ohne Satzungsermächtigung abhalten dürfen.

Verschmelzung zweier Genossenschaften

In dem Fall vor dem OLG Karlsruhe ging es um eine Genossenschaft, die mit einer anderen Genossenschaft verschmelzen wollte. Hierzu fasste sie zunächst einen Verschmelzungsbeschluss im Rahmen ihrer Generalversammlung. Aufgrund der Corona-Beschränkungen fand diese Versammlung jedoch nicht in Präsenz-, sondern in rein virtueller Form statt. Eine Regelung, die eine virtuelle Generalversammlung erlaubt hätte, enthielt die Satzung der Genossenschaft nicht. Die Genossenschaft vertraute darauf, dass auch sie von den großzügigen Regelungen des Covid-19-Gesetzes zu virtuellen Versammlungen profitieren könne.

Untere Instanzgerichte lehnen Eintragung der Verschmelzung ab

Sowohl das Amtsgericht (AG) Mannheim als auch anschließend das OLG Karlsruhe lehnten jedoch die Eintragung der Verschmelzung in das Genossenschaftsregister ab. Zwar hätte die Genossenschaft die Verschmelzung auch auf einer virtuellen Generalversammlung beschließen dürfen. Allerdings müsse in solchen Fällen die Satzung der Genossenschaft eine virtuelle Generalversammlung ausdrücklich zulassen. Da die Satzung der betroffenen Genossenschaft jedoch keine entsprechende Satzungsregelung enthielt, sei der Verschmelzungsbeschluss ungültig, so das OLG Karlsruhe. 

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Die Genossenschaft könne sich zudem nicht auf die Ausnahmen des Covid-19-Gesetz berufen. Denn der Gesetzgeber habe virtuelle Versammlungen ohne Satzungsgrundlage nur bei Vereinen zugelassen, bei Genossenschaften dagegen nicht. Es handle sich dabei um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, da er die Erleichterungen im Covid-19-Gesetz für jede Rechtsform individuell festgelegt habe, so das Gericht. 

BGH: Virtuelle Generalsversammlungen ohne Satzungsgrundlage zulässig

Die Genossenschaft wollte sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden und legte Beschwerde beim BGH ein. Mit Erfolg: Das Gericht entschied, dass virtuelle Generalversammlungen bei Genossenschaften auch ohne Satzungsgrundlage möglich seien und hob die Entscheidung des OLG Karlsruhe auf. Zunächst stellte der BGH fest, dass die Entscheidung des OLG Karlsruhe noch auf dem alten Covid-19-Gesetz in der Fassung vom 27.03.2020 basiere. Seit dem 07.07.2021 existiere jedoch eine neue Fassung des Covid-19-Gesetzes, die ausdrücklich vorsehe, dass Genossenschaften ihre Generalversammlungen auch in virtueller Form abhalten dürfen – selbst wenn keine entsprechende Regelung in der Satzung vorhanden ist. Ferner stellte das Gericht klar, dass das Covid-19-Gesetz für sämtliche Beschlüsse einer Genossenschaft gelte und somit auch umwandlungsrechtliche Beschlüsse miteinschließe. Denn der Gesetzgeber möchte mit dem Covid-19-Gesetz die Handlungsfähigkeit von NPOs während der Coronapandemie sicherstellen, sodass auch umwandlungsrechtliche Beschlüsse von ihm erfasst werden.

Kein Verstoß gegen das Umwandlungsgesetz

Das Covid-19-Gesetz verstoße auch nicht gegen § 13 Abs. 1 Satz 2 des Umwandlungsgesetzes (UmwG), der besagt, dass ein Verschmelzungsbeschluss zwingend in einer Versammlung beschlossen werden müsse. Zum einen folge aus der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift, dass der Gesetzgeber auch andere Versammlungsformen als eine Präsenzversammlung als zulässig erachte. Zum anderen, so der BGH, entspreche es auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, andere Versammlungsformen wie etwa eine virtuelle Versammlung zuzulassen. Denn der Zwang zur Durchführung einer Versammlung soll den Anteilseignern der beteiligten Gesellschaften ermöglichen, die Verschmelzung vor der Beschlussfassung untereinander und mit den Gesellschaftsorganen zu erörtern. 

Damit soll vor allem eine gründliche und gemeinsame Meinungsbildung vor der Verschmelzung sichergestellt werden. Dieser Zweck könne heutzutage jedoch ebenso über eine virtuelle Versammlung erreicht werden, so der BGH. Es müsse lediglich sichergestellt werden, dass die Anteilseigner bei einer virtuellen Versammlung über dieselben Teilhabemöglichkeiten wie bei einer Präsenzversammlung verfügen. 

Covid-19-Gesetz in seiner aktuellen Fassung eindeutig

Wir halten die Entscheidung des Gerichts für richtig. Das Covid-19-Gesetz in seiner aktuellen Fassung ist eindeutig und lässt ausdrücklich virtuelle Generalversammlungen bei Genossenschaften zu. Der BGH hat ferner zu Recht entschieden, dass das Umwandlungsgesetz dem Covid-19-Gesetz nicht im Wege steht. Denn mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln bieten virtuelle Versammlungen den Mitgliedern von NPOs dieselben Teilhabemöglichkeiten wie herkömmliche Präsenzveranstaltungen – wenn nicht sogar noch mehr. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Beschlussfassung in virtuellen Versammlungen nicht auf „unwesentliche“ Beschlüsse oder Beschlüsse, die mit einfacher Mehrheit gefasst werden können, beschränkt, sodass auch „wesentliche“ Beschlüsse zu Strukturveränderungen mit gesetzlich vorgegebenen qualifizierten Mehrheiten zulässig und möglich sind.

Covid-19-Gesetz ist befristet

Auch wenn die Entscheidung des BGH für Genossenschaften erfreulich ist, sollten sie weiterhin beachten, dass das Covid-19-Gesetz befristet ist und sie somit nicht dauerhaft von dieser höchstrichterlichen Entscheidung profitieren können. Zwar wurde das Covid-19-Gesetz erst kürzlich bis zum 31.08.2022 verlängert. Danach muss die Satzung jedoch zwingend – egal ob Verein, Genossenschaft oder Stiftung – eine entsprechende Regelung für virtuelle Versammlungen enthalten. Genossenschaften sollten daher zeitnah eine Satzungsänderung durchführen, um ihre Satzung zukunftssicher zu gestalten und bestens auf die Zeit nach Ablauf des Covid-19-Gesetzes vorbereitet zu sein. Unsere Experten für Genossenschaften und Satzungsgestaltungen unterstützen Sie gerne.

BGH, Beschluss v. 05.10.2021 – II ZB 7/21

Weiterlesen:
Covid-19-Maßnahmengesetz: Verlängerung bis Ende August 2022 geplant
Genossenschaftsrecht – Gründung, Compliance, Prüfung

Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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