Damit das Finanzamt eine Gesellschaft als gemeinnützig anerkennt, muss ihre Satzung der sog. Mustersatzung in Anlage 1 der Abgabenordnung (AO) entsprechen. Bedeutet das, dass der Gesellschaftsvertrag die Formulierungen der Mustersatzung wörtlich übernehmen muss? Zu dieser Frage hat sich das Hessische Finanzgericht (FG Hessen) in seinem Urteil vom 26. Februar geäußert.
Alte Rechtslage: Keine Mustersatzung
Im entschiedenen Fall ging es um eine gemeinnützige GmbH (gGmbH), deren Gesellschaftsvertrag nicht mit der Mustersatzung gemäß § 60 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Anlage 1 der AO wörtlich übereinstimmte. Das lag daran, dass die gGmbH bereits im Jahr 1995 gegründet worden war, der Gesetzgeber die Mustersatzung gemäß Anlage 1 der AO jedoch erst im Jahr 2009 eingeführt hat. Nach der Gründung erkannte das Finanzamt die Gesellschaft unter Geltung der alten Rechtslage als gemeinnützig an. Zweck der gGmbH war die gemeindepsychiatrische Versorgung von psychisch kranken Menschen. Diesen Zweck wollte sie erreichen, indem sie die psychiatrische Versorgung in der Gemeinde aufbaute und weiterentwickelte.
Wörtliche Übernahme der Mustersatzung notwendig
In den Jahren 2010 und 2012 wurde der Gesellschaftsvertrag geändert. Die Änderungen betrafen jedoch nicht den Zweck oder die Art und Weise der Zweckerreichung. Im Jahr 2014 informierte das Finanzamt die gGmbH, dass ihr Gesellschaftsvertrag von 2012 nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche.
Für eine Anerkennung als gemeinnützig müsse die Gesellschaft ihren Satzungszweck wörtlich an die Mustersatzung, die die in § 52 AO genannten gemeinnützigen Zwecke aufführt, anpassen. Die Gesellschaft sollte als Zwecke wörtlich die „Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege“ sowie die „Förderung mildtätiger Zwecke“ in ihre Satzung aufnehmen. Mit der aktuellen Formulierung der Satzung könne das Finanzamt nicht feststellen, welche der in der Mustersatzung genannten Zwecke die Gesellschaft verfolgen möchte. Die Satzung sei damit unzureichend konkretisiert. Nachdem die gGmbH die geforderten Änderungen unterließ, versagte das Finanzamt ihr die Gemeinnützigkeit.
Wörtliche Übernahme der Mustersatzung ist nicht notwendig
Das FG Hessen widersprach dem Finanzamt. Das Gesetz verlange nicht, dass die Formulierungen in der Mustersatzung wörtlich übernommen werden müssten. Die Einführung der Mustersatzung habe nichts daran geändert, dass die Satzung den Satzungszweck und die Art seiner Verwirklichung so konkret wie möglich darstellen müsse. Es müsse klar erkennbar sein, welche gemeinnützigen Zwecke die Gesellschaft verfolgt und wie sie die Zwecke erreichen möchte. Dabei genügt es aber, wenn der Zweck und die Art seiner Verwirklichung durch Auslegung der Satzung klar erkennbar werden.
Gesellschaftsvertrag war ausreichend konkretisiert
Nach Ansicht des Gerichts habe die gGmbH ihren gemeinnützigen Zweck und die Art und Weise der Zweckverwirklichung im Gesellschaftsvertrag ausreichend konkretisiert, so dass sie wieder als gemeinnützig anzuerkennen war. Dem Gericht zufolge könne der Zweck der gemeindepsychiatrischen Versorgung durch Auslegung unter den Begriff der „Förderung des Wohlfahrtswesens“ fallen, der vom Gesetz als gemeinnütziger Zweck anerkannt ist.
Bestandsschutz für den Gesellschaftsvertrag
Das Gericht stellte zudem fest, dass die Mustersatzung ohnehin nicht für den Gesellschaftsvertrag der gGmbH in der Fassung aus 2012 gelten könne, da die Mustersatzung aufgrund der Übergangsvorschriften zu § 60 Abs. 1 S. 2 AO nur für Satzungsänderungen gelte, die nach dem 31.12.2008 wirksam wurden. Die Mustersatzung gelte daher nur für die nach dem 31.12.2008 erfolgten inhaltlichen Satzungsänderungen. Für die inhaltlich unveränderten Bestandteile der Satzung gelte hingegen weiterhin die alte Rechtslage vor Einführung der Mustersatzung. Die „alten“ Bestandteile der Satzung genossen somit Bestandsschutz.
Unsere Bewertung
Auch wenn es die Finanzämter immer wieder versuchen: Die Mustersatzung ist bei der Satzungsgestaltung nicht wortwörtlich abzuschreiben. Die Gerichte haben dies wiederholt entschieden. § 60 Abs. 1 Satz 2 AO verlangt lediglich, dass „die Satzung (…) die in der Anlage 1 bezeichneten Festlegungen enthalten [muss]“. So lange klar erkennbar ist, welche Zwecke die Gesellschaft verfolgt und auf welche Art und Weise sie diese erreichen möchte, sind die gesetzlichen Anforderungen an die Bestimmtheit des Zwecks erfüllt. Die Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) wurde jedoch zugelassen, so dass dieser Streit abschließend vom BFH entschieden werden muss.
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Das Urteil verdeutlicht, dass die Satzung so konkret wie möglich formuliert werden sollte, um keinen Raum für Unklarheiten zu lassen. Denn das Gericht hat auch betont, dass Unklarheiten in der Satzung zu Lasten der gGmbH gehen. Gemeinnützige Gesellschaften sollten daher ihre Satzung von einem Experten überprüfen und ggf. anpassen lassen, damit das Finanzamt die Gemeinnützigkeit weiterhin anerkennt. Und selbstverständlich ist es sinnvoll, sich bei der Satzungsgestaltung nur dann vom Wortlaut der Mustersatzung zu entfernen, wenn hierfür triftige Gründe sprechen.
Unsere erfahrenen Anwälte stehen Ihnen bei der rechtssicheren Gestaltung Ihrer Satzung gerne zur Seite. Melden Sie sich unter info@winheller.com oder 069 / 76 75 77 80.
FG Hessen, Urteil v. 26.02.2020 – 4 K 594/18
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