Die obersten deutschen Finanzrichter schlagen eine Schneise in das Dickicht, das im Umsatzsteuerrecht der Altenpflege wuchert. Sie erklärten ein gesamtes Bündel an Basisangeboten im Rahmen des betreuten Wohnens als einheitliche Leistung für umsatzsteuerfrei. Damit räumt der BFH einerseits zahlreiche Stolpersteine – zumindest in diesem Bereich – aus dem Weg und andererseits innerhalb seiner eigenen Rechtsprechung auf.
Geklagt hatte ein Verein der freien Wohlfahrtspflege, der einem entsprechenden Dachverband angeschlossen war. Der Verein erbrachte Dienstleistungen des betreuten Wohnens in einem Objekt, das von einer Kommanditgesellschaft (KG) an die Bewohner vermietet wurde. Neben der Vermietung bot die KG den Bewohnern auch Betreuungs-Basisleistungen an. Hierzu gehörten im Wesentlichen die Sozial- und Gesundheitsbetreuung, die Verwaltung und die Organisation der Gemeinschaftsbereiche und die Vermittlung zahlreicher weiterer Leistungen, wie Mahlzeiten-, Wäsche- und Hausmeisterdienste. Die KG zog als Vermieterin das Entgelt für die Leistungen ein. Der klagende Verein hatte sich seinerseits gegenüber der KG verpflichtet, die entsprechenden Leistungen an die Bewohner zu erbringen und erhielt hierfür von der KG einen Anteil am Entgelt. Daneben konnten die Bewohner Zusatzleistungen direkt beim Verein hinzubuchen.
Umsatzsteuerfreiheit gemäß Europarecht
Zumindest die Basisleistungen erbrachte der Verein umsatzsteuerfrei, wie die Richter nun urteilten. Die Entscheidung des Gerichts ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Zunächst einmal folgte für das Gericht die Umsatzsteuerfreiheit unmittelbar aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Dies ist zwar grundsätzlich nicht neu, solange es sich um eine Einrichtung mit sozialem Charakter handelt, was regelmäßig aus der Kostenübernahme durch Sozialkassen gefolgert wird. Dem Verein hätte jedoch auch die umsatzsteuerliche Privilegierung als Mitglied eines Wohlfahrtsverbandes weitergeholfen, die das nationale Recht vorsieht. Dass sich der BFH gleichwohl direkt auf das Europarecht stützte, wird man als klares Zeichen deuten können, dass der BFH weiterhin große Zweifel an der Rechtmäßigkeit der deutschen Befreiungsvorschrift für Wohlfahrtsverbände und ihre Mitglieder hegt.
Mittelbare Leistungserbringung unschädlich
Die zweite Besonderheit der Entscheidung steht im Zusammenhang mit dem Leistungsdreieck zwischen dem Verein, der vermietenden KG und den die Leistungen beziehenden Bewohnern. Für die Richter machte es keinen Unterschied, dass sich der Verein unmittelbar nur gegenüber der KG und gerade nicht direkt gegenüber den bedürftigen Bewohnern zur Erbringung seiner Leistungen verpflichtet hatte. In ertragsteuerlicher Hinsicht hatte der erste Senat des BFH dies in einer früheren Entscheidung anders gesehen. Er hatte mangels unmittelbarer Förderung der Bewohner die Ertragssteuerfreiheit als Zweckbetrieb ausdrücklich versagt.
Hinweis: Basisleistungen des betreuten Wohnens, wie die Sozial- und Gesundheitsbetreuung durch eine Fachkraft und die Vermittlung weiterer Dienste, sind umsatzsteuerfrei (wie bereits die Vermietung selbst). Ob die Leistungen dabei von einem Mitglied der Wohlfahrtsverbände oder von einer sonstigen Einrichtung erbracht werden, macht keinen Unterschied. Entscheidend ist lediglich, dass es sich um Leistungen der Altenhilfe handelt, die grundsätzlich durch die Sozialkassen übernommen werden. Hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Zusatzleistungen muss jedoch weiterhin im jeweiligen Einzelfall entschieden werden (vgl. zuletzt das FG Berlin-Brandenburg).
Den freien Wohlfahrtsverbänden und den ihnen angeschlossenen Körperschaften ist zu raten, dass sie sich zeitnah mit Fragen der Aufteilung von Leistungsbündeln und der steuerlichen Behandlung von Einzelleistungen befassen – zumindest aus Sicht der höchsten deutschen Finanzrichter sind die Tage der umsatzsteuerrechtlichen Sonderstellung der freien Wohlfahrtsverbände gezählt.
BFH, Urteil v. 08.06.2011, Az. XI R 22/09.