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Kein Mindestlohn für behinderte Arbeitnehmer in Werkstätten

Jan 5, 16 • Arbeitsrecht1 Kommentar

Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Kiel (ArbG) steht behinderten Menschen, die in speziellen Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten, der Mindestlohn nicht zu.

Stundensatz von 1,50 Euro

Der schwerbehinderte Kläger war in der Werkstatt des beklagten Hilfswerks tätig, einer Einrichtung zur Teilhabe und Eingliederung am bzw. in das Arbeitsleben. Für seine Tätigkeit im Gemüseanbau und der Verpackung sowie für die Auslieferung von sog. Abo-Kisten („Marienkäferkisten“) erhielt er eine monatliche Nettovergütung von 216,75 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden, was einem Stundensatz von weniger als 1,50 Euro entsprach. Er begehrte von der Beklagten 10.159,58 Euro Nachzahlung, weil er den Stundensatz für unangemessen hielt und der Ansicht war, dass für ihn außerdem das Mindestlohngesetz (MiLoG) gelte.

Gesetzliche Grundlage kann nicht sittenwidrig sein

Dem widersprach das ArbG Kiel. Ein Anspruch auf eine angemessene Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB bestehe nicht, weil eine Vergütungsvereinbarung vorhanden und diese auch nicht sittenwidrig sei. Die Vergütungsvereinbarung sei deswegen nicht sittenwidrig, weil sie auf Grundsätzen des § 138 Abs. 2 SGB IX beruhe und damit auf gesetzlicher Grundlage, so das ArbG.

Auch ein Anspruch auf den Mindestlohn bestehe nicht, weil der Kläger kein Arbeitnehmer im Sinne des MiLoG sei, sondern nur eine arbeitnehmerähnliche Person. Das ArbG Kiel definiert den Begriff des Arbeitnehmers für das MiLoG dahingehend, dass der Arbeitnehmerbegriff jedenfalls nicht arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnisse im Sinne des § 138 Abs. 1 SGB IX umfasse. Auch aus dem Normzweck ergebe sich nichts anderes.

Mindestlohngesetz umfasst keine sozialstaatlichen Aufgaben

Das MiLoG soll Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen schützen und existenzsichernde Arbeitsentgelte sichern. Dies setze allerdings reguläre Austauschverhältnisse zwischen Arbeitsleistung und Entgelt voraus und umfasse nicht sozialstaatliche und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen am Arbeitsleben.

Obwohl das ArbG Kiel im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen von Nettobeträgen spricht, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ein Bruttostundensatz ist.

ArbG Kiel, Urteil vom 19.06.2015, Az. 2 Ca 165 a/15

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Ellen Pusch

Rechtsanwältin Ellen Pusch hat sich am Standort München auf das Arbeitsrecht und als zertifizierter Testamentsvollstrecker (DVEV) auf das Erbrecht spezialisiert. Sie gestaltet und optimiert Arbeits-, Aufhebungs- und Abwicklungsverträge und begleitet Umstrukturierungsvorhaben und M&A-Transaktionen (Betriebsübergänge).

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Eine Antwort zu "Kein Mindestlohn für behinderte Arbeitnehmer in Werkstätten"

  1. Kai Roßbacher sagt:

    Interessantes Urteil, lieber Herr Rechtsanwalt. Ich habe es mir mal durchgelesen und einige Fehler des Kläges entdeckt, bei deren Vermeidung das Urteil zuungunsten der Werkstatt ausgefallen wäre. Niederschreiben werde ich diese hier aber nicht, denn auch die WFBM-Seite kann lesen. Aber der Kläger hätte sich die ganze Prozedur ersparen können. Denn, wenn er in seinen Augen leistungsfähig ist und gute Arbeit schafft, warum bleibt er in einer solchen Werkstatt und geht nicht auf den normalen Arbeitsmarkt? Besonders, da der Kläger einen Führerschein hat! Da werden sich gewiss einige Möglichkeiten mit gutem Lohn ergeben. Zur Sache mit dem Landesarbeitsgericht, dieses hat kein Urteil in dieser Sache gefällt, sondern nur eine Prozesskostenbeihilfe abgelehnt. In dem veröffentlichten Beschluss hat das Landesarbeitsgericht aufgezeigt, was nötig ist, um eine Erfolgschance zu haben. Der Kläger sollte sich daran orientieren, dann klappt das Vorhaben vielleicht! Aber es ist, denke ich, besser, einen normalen Arbeitsplatz zu besetzen, das ist leichter, als den Klageweg zu beschreiten.

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