Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 24.03.2021 entschieden, dass der Betrieb von Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften für Länder und Kommunen von der Umsatzsteuer befreit ist. Welche Gründe hierfür maßgeblich waren und welche Folgen die Entscheidung für NPOs hat, verraten wir Ihnen im folgenden Beitrag.
GmbH betreibt mehrere Flüchtlings- und
Obdachlosenunterkünfte
Der Fall vor dem BFH betraf eine nicht gemeinnützige GmbH, die mehrere Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünfte im Auftrag der jeweiligen Träger wie z.B. Länder und Kommunen betrieb. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Ausstattung, Reinigung und Instandhaltung der Unterkünfte sowie die Verpflegung und soziale Betreuung der Bewohner. Die GmbH war der Auffassung, dass ihre Leistungen umsatzsteuerfrei seien – sie führte daher keine Umsatzsteuer ans Finanzamt ab.
Der Betrieb der Unterkünfte ist umsatzsteuerpflichtig
Sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) Düsseldorf behandelten die Einnahmen aus dem Betrieb der Unterkünfte jedoch als steuerpflichtige Umsätze. Der Grund: Die Umsätze seien weder nach dem Umsatzsteuergesetz (UStG) noch nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie von der Umsatzsteuer befreit. Insbesondere habe die GmbH keine „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen“ erbracht, da sie ihre Leistungen nicht unmittelbar gegenüber den Flüchtlingen und Obdachlosen, sondern gegenüber den jeweiligen Trägern erbringe. Zudem sei sie nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt, so das Gericht.
BFH: GmbH ist anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter
Die GmbH gab sich nicht geschlagen und legte Revision beim BFH ein – mit Erfolg. Das Gericht entschied, dass die GmbH als eine Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen sei und es sich bei ihren Leistungen um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen handle, mit der Folge, dass diese umsatzsteuerfrei seien.
Zunächst stellte der BFH klar, dass eine Organisation auf verschiedenen Wegen als eine Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt werden könne. So führe etwa die Übernahme der Kosten durch die öffentliche Hand oder etwa das mit der Tätigkeit der Organisation verbundene Gemeinwohlinteresse dazu, dass die Organisation als anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter anzusehen sei. Diese Voraussetzungen seien bei der GmbH erfüllt, so das Gericht: Zum einen werden die Kosten für die Leistungen der GmbH vollständig von den auftraggebenden Ländern und Kommunen und damit der öffentlichen Hand übernommen. Zum anderen diene die Tätigkeit der GmbH dem Gemeinwohlinteresse, da sowohl Flüchtlinge als auch Obdachlose aufgrund des Grundgesetzes Anspruch auf eine angemessene Unterkunft haben.
GmbH erbringt soziale Dienstleistungen
Zudem erbringe die GmbH auch eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen. Zum einen seien sowohl Flüchtlinge als auch Obdachlose wirtschaftlich bedürftig, da sie in der Regel über kein ausreichendes Vermögen verfügen, um selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Zum anderen sei der Betrieb von Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften vergleichbar mit dem Betrieb von Altersheimen, da in beiden Fällen Wohnung gegeben und hilfsbedürftige Menschen unterstützt und betreut werden.
Da die von den Betreibern der Altersheime erbrachten Leistungen jedoch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen darstellen, müsse dasselbe auch für die Leistungen der GmbH gelten, so das Gericht.
Leistungen müssen nicht unmittelbar gegenüber den Hilfsbedürftigen erbracht werden
Zu guter Letzt stellte der BFH klar, dass es nach einem neuen Urteil des EuGHs – das erst während des Revisionsverfahrens ergangen ist – für die Steuerbefreiung nicht notwendig sei, dass die Leistungen unmittelbar gegenüber den Flüchtlingen und Obdachlosen erbracht werden. Vielmehr komme es darauf an, dass die Dienstleistungen einen unerlässlichen (Zwischen-)Schritt für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit darstellen. Dies sei vorliegend erfüllt, so der BFH: Denn ohne die Leistungen der GmbH könnten die Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünfte nicht angemessen betrieben und somit ihre Bewohner auch nicht angemessen betreut werden.
WINHELLER befürwortet Entscheidung des BFH
Wir halten die Entscheidung des BFH für richtig. Es hat zu Recht die neue Rechtsprechung des EuGH zugunsten der GmbH berücksichtigt, sodass ihre Leistungen nicht mehr umsatzsteuerpflichtig, sondern von der Umsatzsteuer befreit sind.
Schwachstellen in der umsatzsteuerlichen Dokumentation identifizieren
NPOs sollten beachten, dass diese Entscheidung noch zur alten Rechtslage des Jahres 2014 ergangen ist. Damals war eine Befreiung von sozialen Leistungen von der Umsatzsteuer nach nationalem Recht gemäß § 4 Nr. 18 UStG nur für die anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege sowie deren Mitglieder möglich. Diese Beschränkung hat der Gesetzgeber jedoch Anfang 2020 abgeschafft.
Seitdem können auch die sozialen Leistungen von sog. Einrichtungen ohne systematisches Gewinnstreben – zu denen NPOs gehören – von der Umsatzsteuer gemäß § 4 Nr. 18 UStG befreit sein. Für die GmbH müsste jedoch ab 2020 geprüft werden, ob es sich bei ihr um eine Einrichtung ohne systematisches Gewinnstreben handelt. Ist dies nicht der Fall, wären ihre Leistungen umsatzsteuerpflichtig. Die GmbH sollte sich daher – wenn sie es nicht schon bereits getan hat – als gemeinnützig anerkennen lassen, um eine Umsatzsteuerpflicht ihrer Leistungen zu vermeiden.
Ferner zeigt dieser Fall erneut, wie schwierig die richtige steuerliche Einordnung von Umsätzen sein kann und welch wichtige Rolle die europarechtlichen Regelungen – und damit auch die Rechtsprechung des EuGHs – bei der Umsatzsteuer spielen. NPOs, die auf Nummer sicher gehen wollen, sollten daher in Vorbereitung auf die nächste Betriebsprüfung ihren Steuerberater mit der Durchführung einer Betriebsprüfungssimulation beauftragen, um mögliche Schwachstellen in der umsatzsteuerlichen Dokumentation zu identifizieren und finanzamts- und gerichtsfest zu beheben.
BFH, Urteil v. 24.03.2021 – V R 1/19
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