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Diskriminierungen in Satzungen beschäftigen die europäischen Gerichte

Diskriminierungen in Satzungen beschäftigen europäische Gerichte

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) haben sich kürzlich mit diskriminierenden Satzungsregeln beschäftigt. Dabei ging es um Altersgrenzen und geschlechterbedingte Bevorzugung. Der für deutsche Organisationen etwas relevantere Fall betrifft Altersgrenzen bezüglich Vorstandsämtern in Satzungen.

Altersgrenzen für Vorstandsposten oder Geschäftsführer sind oft in Satzungen aller Art zu finden. Diese könnten jedoch laut einem Urteil des EuGH gegen die Diskriminierungsrichtlinie der EU (RL 2000/78) verstoßen.

Streit um Altersgrenze im Vorstandsamt

Entbrannt war der Streit um eine Altersgrenze, die eine dänische Arbeitnehmerorganisation für zu vergebende Vorstandsämter in ihrer Satzung verankert hatte. Geklagt hat die ehemalige Vorständin der Organisation. Sie hatte zunächst als hauptamtliche Mitarbeiterin bei einer Ortsgruppe der Organisation gearbeitet und wurde dann zum nationalen Verband versetzt. Hier wurde sie zur Vorständin gewählt. Nun wollte sie sich erneut zur Wahl stellen. Dies wurde ihr aufgrund der in der Satzung verankerten Altersgrenze von 60 Jahren verweigert. In Berufung auf die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU klagte sie vor einem dänischen Gericht gegen diese Satzungsregel.

Unselbstständige oder selbstständige Erwerbstätigkeit

Das dänische Gericht bestätigte zwar einen Verstoß gegen die Richtlinie, nach der u.a. wegen des Alters einer Person, der Zugang zu bestimmten Positionen nicht verweigert werden darf. Fraglich war jedoch, ob die Richtlinie überhaupt Anwendung auf den Fall findet, da es sich nicht um ein klassisches Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis handelt. Vielmehr ist das Vorstandsamt eine politisch gewählte Position, die eine Verantwortlichkeit gegenüber dem Kongress begründet. Die Vorständin war gerade keinem Weisungsrecht unterlegen.

Die Beschäftigungsbedingungen der Vorständin richteten sich nach einem „Vertrag für Gewählte“. Sie war in Vollzeit beschäftigt und erhielt ein monatliches Gehalt.

Das dänische Gericht legte dem EuGH konkret die Frage vor, wie die in der Richtlinie genannten Begriffe „unselbstständige Erwerbstätigkeit“ und „selbständige Erwerbstätigkeit“ zu definieren sind, um die Anwendbarkeit der Richtlinie auf politisch Gewählte bewerten zu können.

EuGH: Richtlinie auf politisch gewählte Ämter anwendbar

Der EuGH stellt zunächst fest, dass die Vereinigungsfreiheit (also u.a. die Freiheit, sich in Gewerkschaften zu organisieren) durch die Antidiskriminierungsrichtlinie eingeschränkt werden darf. Bei der konkreten Frage der Anwendbarkeit komme es weniger darauf an, ob eine Person als Arbeitnehmer zu klassifizieren sei, sondern mehr, ob sie des Erwerbs wegen tätig sei. Dies sei vorliegend auch deshalb zu bejahen, weil das Vorstandsamt vergütet und in Vollzeit ausgeübt wurde. In der Folge ist also die Antidiskriminierungsrichtlinie auch auf politisch gewählte Ämter anwendbar, sodass Satzungen, die Altersgrenzen enthalten, in diesem Punkt diskriminierend sind.

EGMR: Geschlechterbedingte Bevorzugung in türkischer Stiftung

Parallel hatte der EGMR über eine Satzungsregel einer türkischen Stiftung zu entscheiden. Die Stiftung in der Art einer Familienstiftung war vor 500 Jahren in der Türkei errichtet worden. In der Gründungsurkunde war festgelegt worden, dass ausschließlich männliche Nachkommen begünstigt werden sollten. Die Erben eines weiblichen Nachkommen hatten daraufhin vor türkischen Gerichten ihr Recht eingefordert, auch an der Ausschüttung beteiligt zu werden.

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Das Gericht in Diyarbakir sowie ihm folgend der Kassationshof und das türkische Verfassungsgericht waren der Meinung, der weibliche Nachkomme sei aufgrund der Stiftungsurkunde nicht berechtigt. Die Regelung sei vom Gründer so gewollt gewesen. Ein Eingriff in das Innere der Körperschaft sei aufgrund des Schutzes des Eigentums sowie der Privatautonomie nicht möglich.

Konventionsverletzung durch Diskriminierung

Der EGMR gab der Beschwerde der Frau recht und stellte eine Verletzung des Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Verbindung mit Art. 1 EMRK, also eine Konventionsverletzung, fest. Er stellte sich insgesamt gegen die Argumentation der türkischen Gerichte und führte an, dass – folge man dieser Logik – Staaten keine Möglichkeit hätten, private Diskriminierungen zu unterbinden bzw. zu bestrafen. Dass die Gründungsurkunde aus einer Zeit stammt, in welcher das Frauenbild ein grundlegend anderes war, sei keine Rechtfertigung, diese beizubehalten.

Der EGMR sah in der Wiedereröffnung des Verfahrens eine gerechte Wiedergutmachung.

Diskriminierende Regelungen in Satzungen vermeiden

Die Diskriminierungsfreiheit von Satzungen ist ein derzeit viel besprochenes Thema. Achten Sie also bei der Erstellung oder Durchsicht Ihrer Satzung auf potenziell diskriminierende Regelungen. Bei Fragen wenden Sie sich direkt an unsere Spezialisten. Wir beraten Sie gerne.

EuGH, Urteil v. 02.06.2022, C-587/20
EGMR, Urteil v. 05.07.2022, 70133/16

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Johannes Fein

Rechtsanwalt Johannes Fein ist im Steuerrecht, im Gemeinnützigkeitsrecht und im Sportrecht tätig. Er berät und vertritt gemeinnützige Vereine und Verbände, Wirtschafts- und Berufsverbände, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften sowie Stiftungen und sonstige Nonprofit-Organisationen.

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