Die aktuellen Streiks der Lokführer und Piloten haben eine facettenreiche und nicht immer sachliche Berichterstattung ausgelöst. Im Folgenden sollen der rechtliche Hintergrund und das gesetzgeberische Vorhaben zur Regelung des brodelnden Konflikts überblicksartig dargestellt werden.
Verfassungsrechtliche Ausgangslage
Das nationale Arbeitskampfrecht ist verfassungsrechtlich in der sog. Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes fundiert. Der gesamte Regelungsbereich ist überwiegend durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie des Bundesverfassungsgerichts entwickelt worden. Die aktuellen Streiks sind unmittelbare Folge einer fundamentalen Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2010. In zwei Beschlüssen begrub das Gericht den sog. Grundsatz der Tarifeinheit, den es Jahrzehnte zuvor (gegen viele Stimmen aus der arbeitsrechtlichen Wissenschaft) selbst erschaffen hatte.
Dieser Grundsatz besagte, dass in einem Betrieb jeweils nur ein Tarifvertrag gelten dürfe. Dabei setzte sich regelmäßig der Vertrag durch, der dem Betrieb am nächsten stand und deshalb seinen Erfordernissen und Eigenarten sowie denen der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wurde (Spezialitätsprinzip). Übrige Tarifverträge wurden verdrängt.
Das BAG erkannte, dass dadurch kleinen Gewerkschaften nahezu vollständig die Existenzgrundlage entzogen wurde. Denn diese sog. Spartengewerkschaften, zu denen neben der aktuell streikenden Vereinigung Cockpit auch die GDL und der Marburger Bund zählen, konnten sich nach den oben genannten Kriterien praktisch nie gegen die großen Gewerkschaften durchsetzen.
Gewerkschaftlicher Wettbewerb als Verfassungsgut
Nun sollen die Grenzen dieser grundrechtlich geschützten gewerkschaftlichen Betätigung verbindlich ausgelotet werden. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn das Recht einer Gewerkschaft, eigene Tarifverträge durch Streik zu erzwingen, folgt – wie beschrieben – aus einem Grundrecht (Art. 9 Abs. 3 GG).
Grundrechte sind Freiheiten von prinzipieller Bedeutung für den Einzelnen und für die Allgemeinheit, was sie zu den höchsten Werten unserer Rechtsordnung erhebt. Kollidiert die grundrechtlich geschützte Betätigung des Einen mit anderen Werten von Verfassungsrang, dann darf sich nicht eine der Positionen vollständig auf Kosten der anderen durchsetzen. Es ist vielmehr ein optimierender Ausgleich anzustreben, der eine bestmögliche Geltung aller kollidierenden Verfassungswerte erlaubt. Das ist einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Grundrechten und sonstigen Rechtsnormen. Nur letztere können sich gegenseitig vollständig verdrängen, wie z.B. Tarifverträge nach dem oben beschriebenen Grundsatz der Tarifeinheit.
Ausblick
In Kürze wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen Gesetzentwurf vorlegen. Ob es damit gelingt, den Konflikt ohne Verfassungsverstoß zu regeln, wird letztverbindlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Eine Vorlage durch Verfassungsbeschwerde der Spartengewerkschaften wird nicht lange auf sich warten lassen.